Wien - Ein zerrissener Geldschein soll beweisen, dass Osman K. sich in Syrien zum Terroristen ausbilden ließ. Die halbierte Banknote über 1.000 Syrische Pfund wurde bei der Hausdurchsuchung der Polizei in einem Koran gefunden.

Gemeinsam mit K.s unangekündigter Reise in die Türkei und Facebook-Chats mit seinem Freund sind das genügend Indizien für Staatsanwältin Stefanie Schön, den 21-Jährigen wegen des Besuchs eines Terrorcamps anzuklagen. Strafdrohung: sechs Monate bis zehn Jahre Haft.

Der Angeklagte und sein Verteidiger Martin Mahrer erzählen dem Schöffensenat unter Vorsitz von Norbert Gerstberger eine ganz andere Geschichte. Er habe lediglich "aussteigen" wollen und sei zu seinem Onkel in die Türkei geflogen. Nach Syrien sei er nie gereist.

Onkel aus Osttürkei angereist

Am letzten Verhandlungstag bestätigt der extra aus der Osttürkei angereiste Verwandte diese Version. Der Neffe sei Ende Juni 2013 überraschend aufgetaucht und ein bis eineinhalb Monate geblieben.

Dass K.s Eltern in Österreich bereits eine Abgängigkeitsanzeige erstattet hatten, habe er nicht gewusst, sagt der Zeuge unter Wahrheitspflicht aus.

Zu der Anzeige hatten sich die Eltern entschlossen, da sich der junge Mann in den Monaten vor dem Verschwinden verändert habe. Er ließ sich beispielsweise einen Bart wachsen und warf den Eltern vor, dass sie fernsehen.

Bei der Hausdurchsuchung stellte die Polizei auf seinem Computer auch 131 Bilder und Videos islamistischer Kämpfer sicher.

Eltern verweigerten Aussage

Der Wandel startete, nachdem er begonnen hatte, eine Moschee zu besuchen, in der laut Verfassungsschutz radikalislamische Prediger auftreten, erzählten die Eltern und Geschwister noch bei der Polizei. Vor Gericht verweigerten sie die Aussage.

Die Arbeit des Verfassungsschutzes in der Causa mutet allerdings etwas seltsam an. Ursprünglich ermittelten die Beamten, dass K. entgegen seinen Angaben nicht direkt von Budapest nach Istanbul geflogen sein könne, da es keine Direktverbindungen gegeben habe.

Eine Mail des STANDARD an die Pressestelle der Turkish Airlines ergab innerhalb von zehn Minuten, dass das doch so war. Am Dienstag trug Gerstberger daher die nachgereichten Ermittlungsergebnisse vor: Es gab einen Flug, den der Angeklagte auch benutzt hat.

Polizeiantwort aus Washington

Eine weitere Überraschung: Gerstberger hatte die Verfassungsschützer um ihre Erkenntnisse über Ausbildungscamps an der türkisch-syrischen Grenze gebeten. Die übermittelte Antwort kam aus Washington.

Die US-Bundespolizei hatte relativ nichtssagende Erkenntnisse übermittelt, dass es solche Lager gebe. Interessanterweise findet sich darin auch der Satz, dass die islamistische Al-Nusra-Front, der sich K. angeschlossen haben soll, und die ISIS zusammenarbeiten

Allerdings haben sich die beiden Gruppen über Monate bekriegt, erst langsam beginnt wieder eine Annäherung beziehungsweise ein Überlaufen zur erfolgreicheren ISIS.

In ihrem Schlussplädoyer bleibt Staatsanwältin Schön dabei: "Es gibt starke Indizien, wenn nicht sogar Beweise", dass K. dort gewesen sei. Denn in mehreren Facebook-Chats mit seinem Freund habe er auch damit geprahlt, in Syrien und im Heiligen Krieg zu sein.

"Nur kleines Rädchen"

"Er ist sicher nur ein kleines Rädchen, aber es zeigt, wie Treffen mit charismatischen Führern indoktrinieren können."

Verteidiger Mahrer argumentiert ganz anders. Die syrische Banknote könne von irgendwo stammen, sein Mandant sagte, er habe sie in der Türkei gefunden. Die Facebook-Konversation sei nur Prahlerei gewesen, in Wahrheit habe er sie aus der Türkei geführt.

Ein Punkt, den Vorsitzender Gerstberger überprüfen wollte, allein, Facebook in Kalifornien verweigerte die Herausgabe, von welcher Internetadresse aus gechattet wurde.

Ausgerissener Verteidiger

Verteidiger Mahrer wird schlussendlich noch persönlich: "Die Frage ist, warum ist mein Mandant ausgerissen? Auch ich bin mit 20 ausgerissen, da mir damals die Familie so auf die Nerven gegangen ist. Ich war ein halbes Jahr weg und habe sogar geheiratet."

Nach zwei Stunden verkündet der Senat ein strenges nicht rechtskräftiges Urteil: 21 Monate unbedingte Haft.

In der Begründung führt Gerstberger aus, dass der Senat der Argumentation der Anklagevertreterin gefolgt ist. Er glaubt vor allem den ursprünglichen Aussagen von Familien und Freunden, die die Wesensänderung beschrieben haben.

Neben den Facebook-Kommunikationen seien es auch zwei Telefonate gewesen, die verdächtig genug erschienen: In einem sagte K. nämlich, er könne die arabischen Schriftzeichen im Computer nicht lesen, in der Türkei spricht man aber nicht arabisch.

Die entlastende Aussage des Onkels hält Gerstberger dagegen für komplett unglaubwürdig: Bei einem Verschwinden des jungen Mannes wäre die gesamte Familie in der Türkei informiert worden, nimmt er an.

21 Monate unbedingt bei einer Mindeststrafdrohung von sechs Monaten hält der Senat für eine milde Strafe für den Unbescholtenen. "Man darf nicht übersehen, dass die Generalprävention bei Terrorismus sehr, sehr, wichtig ist", meint der Vorsitzende. Man sei dennoch unter einem Fünftel der Maximalstrafe von zehn Jahren geblieben. (Michael Möseneder, derStandard.at, 1.7.2014)