Wien - Am 2. Juli 1914, nur vier Tage nach dem Attentat auf Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo und damit dem unmittelbaren Auslöser des Ersten Weltkriegs, kam in Wien-Ottakring Ludwig Anton Weinberger zur Welt. Der Wickerl, wie man ihn später nannte, wuchs in seinen ersten Jahren nicht nur im Krieg, sondern auch in ärmlichen Verhältnissen und zum Teil im Heim auf. Vielleicht predigte Weinberger deshalb viele Jahre seines Lebens den Frieden und den Verzicht auf materiellen Überfluss.

Irgendwann um seinen sechzigsten Geburtstag nahm der gelernte Buchbinder, der aber die meiste Zeit als Knecht und Schildermaler tätig war, den Fantasienamen Waluliso an. Es ist ein Initialwort, gebildet aus den jeweils ersten beiden Buchstaben der Begriffe Wasser, Luft, Licht, Sonne.

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Waluliso hüllte sich in eine Leintuchtoga, setzte sich einen Olivenzweig auf den Kopf und stieg in Sandalen. Mit Hirtenstab und Apfel in Händen durchstreifte er als lebendes Gesamtkunstwerk die Innenstadt. Manche nannten ihn einen Wirrkopf, einen aufdringlichen Spinner.

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"Ich bin der Botschafter des Friedens", erzählte Waluliso Passanten auf dem Stephansplatz, anderen schrie er auf dem Graben oder am Naschmarkt "Friede auf Erden!" hinterher.

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Bereits in den 1970er-Jahren sammelte der passionierte Nacktbader zehntausende Unterschriften für den Erhalt der Donauinsel und der Lobau als Naherholungsareal. Bei Staatsbesuchen der Protagonisten des Kalten Kriegs in Wien demonstrierte er an vorderster Friedensfront für eine Abrüstung.

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Er schüttelte Yassir Arafat und Eduard Schewardnadse die Hände, auch Prinz Charles und Lady Di. Die Freundschaft zu Helmut Zilk bescherte Waluliso sogar Auslandsauftritte. Vor dem Weißen Haus in Washington, auf Moskaus Rotem Platz und vor der Berliner Mauer trat er auf.

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Dass Charles nach seiner Heimkehr Zilk einen Brief geschrieben hatte, in dem er sich nach Walulisos Befinden erkundigte, erzählte der Wiener Bürgermeister dem Friedensaktivisten nicht.

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"Da wäre er total übergeschnappt. Je populärer er wurde, desto schwieriger war es ja mit ihm. Am Anfang war es nur eine Rolle, dann eine Sendung, am Schluss hat er sich als Guru gefühlt", sagte Zilk.

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Sein Sendungsbewusstsein wurde auch auf Platte festgehalten: 1983 nahm Waluliso gemeinsam mit der NDW-Combo Blümchen Blau die Single "Wir bauen ein Haus" auf. Die Botschaft seines Sprechgesangs war Programm: "Wir Alten sollen nicht immer wieder schimpfen und spotten über unsere Jugend" und "Es ist Zeit, dass man aus Heldenplätzen Friedensplätze macht".

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In den 1990er-Jahrern verließ Waluliso seine kleine Wohnung in Wien-Margareten kaum noch. An einem der letzten Tage, an denen er auf der Kärntner Straße predigte, soll er mit den Worten "Charakter zählt und nicht Geld. Politiker sind Spekulanten" Banknoten verteilt haben.

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Wickerl Weinberger starb nach Aufenthalten im Lainzer Geriatriezentrum und einem Pensionistenheim auf der Schmelz am 21. Juli 1996 in Wien. Heute erinnert sein selbsterworbenes Grab auf dem Zentralfriedhof an ihn. Und die Walulisobrücke, ein Pontonsteg, auf der Fußgänger und Radfahrer über die Neue Donau auf "seine" Donauinsel gelangen.

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Helmut Zilk eröffnete dort auch ein "Museum" mit Walulisos letzten Habseligkeiten. Es sind in Wahrheit drei Schaukästen. Auf einer Toga steht groß "FRIIIEDE". Bei der Laudatio zur Eröffnung sagte Helmut Zilk: "Eine Stadt, die sich nicht todernst nimmt, braucht solche Originale." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 1.7.2014)

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Michael Melech