Am Ende musste er an Deck der Yacht essen, mit der er gekommen war. Dabei hätte Antonello Pomata ihm gerne geholfen und konnte trotzdem nur mit den Schultern zucken: "Kein Tisch frei heute Abend, nicht einmal ein Sessel. Die nächsten fünf, sechs Tage auch nicht." Nicht einmal für Tom Cruise mit Gefolge. Alles reserviert. Wie immer im August, wie üblich im besten Restaurant von Carloforte auf der Insel San Pietro gut sieben Kilometer vor der Südspitze Sardiniens.

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Ins Da Nicolo mit Blick auf den Yachthafen kommen sie alle: Italienische Fußballstars kehren hier ein, Modedesigner wie Roberto Cavalli, die Fiat-Besitzerfamilie Agnelli, der Bulgari-Juwelen-Clan - und viele mehr, an die Antonello und sein Vater Nicolo sich vor lauter Diskretion gar nicht erinnern können. Und doch gilt völlig unabhängig von etwaiger Berühmtheit: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Aber offenbar hat das Mister Cruise niemand gesagt.

Tom Cruise & Co schleppten ihr Essen selbst

Nachdem der Mann aus Hollywood am Eingang im Stehen in die ausgehängte Speisekarte geschaut hatte, mochte er nicht mehr woanders hingehen. Er bestellte einfach: Filet vom Petersfisch mit Babykartoffeln, Rinderfilet mit Pecorino-Kruste, Tempura-Crêpes gefüllt mit Muscheln und Scampi. Nur leider war kein Kellner frei, um all das zur Yacht zu tragen. Cruise & Co schleppten deshalb selbst. Spät am Abend konnte Antonello immerhin ein paar Mitarbeiter schicken, um das Geschirr wieder abzuholen.

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Fast überall sonst in der Welt hätte der Wirt andere Gäste ausgeladen oder einen zusätzlichen Tisch organisiert: hier nicht. Nicht aus Bosheit, schon gar nicht aus Arroganz. "Wissen Sie", sagt Antonello, "die Insel San Pietro gehört zwar irgendwie zu Sardinien, aber wir sind das krasse Gegenteil der Costa Smeralda. Wir sind bodenständig."

Vorbei an den Flamingos

54 Quadratkilometer groß ist die Insel, gut 6.200 Menschen leben hier, fast alle in der Hauptstadt Carloforte. Fünf Straßen erschließen den Rest des Eilands, jede strahlenförmig in eine andere Richtung. Nur wenige Hotels gibt es, ein paar Pensionen, 300 Gästezimmer insgesamt. Carlofortes Stadtbild ist ebenso wie das Erscheinungsbild der Insel intakt - frei von gröberen Bausünden.

Wer zum Strand will, muss ein Stück gehen und erst an der Lagune mit den Flamingos vorbei. Denn den einen langen Paradestrand gibt es hier nicht, dafür viele kleine Buchten: Spiaggia la Bobba oder Spiaggia la Caletta, den schönsten Strand der Insel. Der Sand ist hell, das Wasser klar. Und manchmal schauen von der Seeseite sogar ein paar Delfine nach den Urlaubern an Land.

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Weite Teile der Küste sind steil, felsig, zugänglich nur für Kletterkünstler. Zwei große Basaltsäulen im Meer galten als Wahrzeichen von San Pietro und sind noch immer auf den wenigen Prospekten abgebildet. Nur: Eine davon ist im Wintersturm eingestürzt. Anfangs gab es Leute, die forderten, man solle den Koloss wieder aufbauen, die Trümmer mit Stahl, Beton und viel Mörtel wieder zusammenkleben, als wäre nichts gewesen. "Daraus ist nichts geworden", freut sich Lorenzo Brun, der sich auf der Insel im Naturschutz engagiert. "Das hätte nicht zu uns gepasst, das wäre nicht San-Pietro-Style. Hier ist alles, wie es ist. Wir helfen nicht nach."

Die meisen Bewohner stammen von Fischerfamilien ab

Bei aller Abgrenzung zu Sardinien, das Leben ist auf San Pietro nicht günstiger. Fast alles, was hier gegessen, getrunken, gekauft wird, muss per Fähre herübergeschafft werden. Zehn bis zwölf Euro kostet die Vorspeise in einem guten Restaurant, zwischen 18 und 30 Euro ein Hauptgericht, sechs bis zehn der Nachtisch.

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Noch immer leben einfache Fischer in Carloforte, noch immer stammen die meisten permanenten Einwohner von Fischerfamilien ab, auch wenn sie inzwischen auf den Fähren arbeiten, die die meiste Zeit des Tages im Anderthalbstundentakt unterwegs sind. Oder sie kellnern in einem der vielen Restaurants, verkaufen Eis oder Strandspielzeug, betreiben ihre Greißlerei in der Altstadt oder helfen auf dem einzigen Weingut aus.

Die Genuesen Sardiniens

Ihr Schutzherr war historisch kein Sarde, sondern der König von Savoyen. Ihre Architektur erinnert eher an einen ligurischen Küstenort als an ein sardisches Dorf, ihre Kultur ist die Norditaliens - wenn auch längst verquickt mit allerlei anderen Einflüssen. Selbst der Dialekt, den sie sprechen, ist ein veraltetes Genuesisch - mit manchen Begriffen, die dort oben längst aus dem aktiven Wortschatz verschwunden und über die Jahrhunderte sogar in Vergessenheit geraten sind. Hier aber haben sie sich gehalten. So wie die Tunfischfänger und die Bootsbauer.

Für die Küche gilt dasselbe. Antonellos Vater Nicolo Pomata kocht nach traditionellen Rezepten von der Insel, und deren Wurzeln sind ebenfalls ligurisch. Ob Tom Cruise das eh weiß? "Keine Ahnung", sagt Antonello, "wichtig ist nur, dass es ihm geschmeckt hat." Will der Mann aus Hollywood wiederkommen? "Weiß nicht. Zumindest hat er bislang nicht reserviert." Dafür war kürzlich Johnny Depp da. Er hat auf Anhieb einen Tisch bekommen. Wie es dazu kam? "Ganz einfach", sagt Antonello. "Es war September. Und da ist es kein Problem." (Helge Sobik, Rondo, DER STANDARD, 04.07.2014)