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Karl Wald im Juli 2006 mit 90 und einem Gratulationsschreiben von Sepp Blatter in der Hand. Auf seine Erfindung war er sehr stolz: "Es ist genauso, wie ich mir das vorgestellt habe."

Foto: APA/Schrader

Wien - Der Mann, der das Drama des Fußballs auf den Punkt brachte, liegt in Penzberg, Oberbayern, 50 Kilometer südlich von München begraben. Alte Weiden säumen die kleine Allee, die auf dem Friedhof zur Urnenhalle führt, und wer das Ehrengrab für die Toten des Zweiten Weltkriegs rechts liegen lässt, danach hinter der Hecke abbiegt, steht vor dem unscheinbaren Stein: Dort ist das Grab von Karl Wald, dem Erfinder des Elfmeterschießens. 2011 starb er im Alter von 95 Jahren.

Aktuell in Chile, vor allem aber in England würde man Wald vermutlich verfluchen. Sportliche Dramen hätte sich das Mutterland des Fußballs im halben Dutzend ersparen können, wäre der Schiedsrichter und gelernte Friseur, geboren am 17. Februar 1916 in Frankfurt am Main, nicht 54 Jahre später vom "Geistesblitz" getroffen worden: Der "Krimi vom Punkt" (Wald), oder, wie in den Statuten des Weltverbandes Fifa später stand, "Schüsse von der Strafstoßmarke zur Siegerermittlung".

Unsterblich

Karl Wald, der seine letzten Jahre in einem Altersheim verbrachte, hat die Eingebung sportliche Unsterblichkeit verliehen. Häufig dachte er auch im gesetzten Alter verärgert an die Zeiten zurück, in denen es am Ende einer Verlängerung kein sportliches Entscheidungskriterium mehr gab. "Siege per Münzwurf, das waren keine Siege, das war gar nichts. Dermaßen ungerecht war das. Es konnte so nicht weitergehen", sagte er.

Im verkrusteten Schiedsrichterwesen stieß der Vorschlag erst einmal auf Ablehnung. Wald, der während des Krieges im Pariser Prinzenparkstadion Fußballspiele des Militärs geleitet hatte, testete seine Idee heimlich bei Oster- oder Schulturnieren. Und plötzlich waren Münzwürfe und Wiederholungsspiele vergessen.

Sieg der Sturheit

Wald präsentierte seinen Vorschlag am 30. Mai 1970 beim Schiedsrichterverbandstag des Bayerischen Fußballverbandes in München. Die "neumodische Idee" sagte dem Präsidenten Hans Huber, eher ein konservativer Vertreter, überhaupt nicht zu, doch Wald konnte stur sein: "Herr Präsident, ich habe Ihnen heute einige Stunden sehr diszipliniert zugehört. Ich bitte Sie daher, mir fünf Minuten ebenfalls zuzuhören." Es folgte ein flammender Appell für Gerechtigkeit und gegen die unbefriedigende Regentschaft des Zufalls. "Kameraden! Ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, Erfolg rechtfertigt alles. Vielen Dank", schloss Wald. Nach 30-minütiger Beratungspause gab Hans Huber nach.

Aber nicht Walds, sondern der unabhängig vom Deutschen entwickelte Vorschlag des Israeli Yosef Dagan, der ebenfalls eine Entscheidungsfindung durch Elfmeter ausgetüftelt hatte, lag als erster der Fifa zur Prüfung vor - bereits im Februar 1970. Die obersten Regelhüter der Fifa, im International Football Association Board (Ifab) versammelt, empfahlen Dagans Vorschlag zur Annahme, obwohl er nicht als völlig zufriedenstellend bewertet worden war.

Die Regeländerung zugunsten des Entscheidungsschießens wurde schließlich Ende Juni 1970 mit dem von Wald vorgeschlagenen Prozedere abgesegnet. Nach 47 Ifab-Sondersitzungen erfolgte 1976 die Aufnahme in das Regelwerk.

Das Elfmeterschießen bescherte dem Fußball eine ganz neue Dimension von Dramatik, die nicht bei jedem Anklang fand. "Das ist, als würde ein großer Krieg nicht mit einem geistigen Kräftemessen am Konferenztisch beendet, sondern mit einer Partie russischem Roulette zwischen ausgewählten Gefreiten auf beiden Seiten", sagte etwa Sir Peter Ustinov.

Das erste durch Elferschießen entschiedene Turnier war die EM 1976. Der Deutsche Uli Hoeneß traf nur den Himmel über Belgrad, während Antonín Panenka die Tschechoslowakei mit einem Heber in die Tormitte beglückte. Er ist unvergessen wie die vielen Gescheiterten, darunter Engländer sonder Zahl, ja, und der arme Chilene Gonzalo Jara. (sid, red, DER STANDARD, 30.6.2014)