Günther Holler-Schuster und Martin Behr stellten in Moskau "Doktor Schiwago" nach: mit Botschafterin Margot Klestil-Löffler (links) und Simon Mraz (neben ihr).

Foto: G.R.A.M.

Damit kann man auch in Moskau heiße Themen anfassen: Topflappen von Eva & Adele.

Foto: Trenkler

Den posierende Models auf Fotografien von Daria Marchik stellt die Ausstellung eine betenden Madonna von Veronika Allmayer-Beck gegenüber: Der Glorienschein der Muttergottes ist ein "Rosenkranz" aus Tennisbällen.

Foto: Trenkler

Moskau – Simon Mraz, Jahrgang 1977, ist jovial, heiter – und irgendwie das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Kulturattaché vorstellt. Da das Kulturforum in Moskau, das er seit 2009 leitet, über keine Veranstaltungsräume verfügt, kuratiert er eben Ausstellungen in seiner Dienstwohnung.

Diese befindet sich in einem berühmt-berüchtigten Wohnblock, den man als "Haus an der Uferstraße" kennt. Der Bau, ein imposantes Beispiel für den russischen Konstruktivismus, wurde 1928 bis 1931 an der Moskwa nächst dem Kreml für Regierungsmitglieder und Parteifunktionäre hochgezogen. Es gab Gemeinschaftseinrichtungen (wie Mensa, Sporthalle, Bibliothek und Kindergarten); man lebte hier aber mit einem mulmigen Gefühl: In den 1930er-Jahren fuhr immer wieder der Geheimdienst KGB vor, um Personen, die bei Stalin in Ungnade gefallen waren, als Hochverräter und Volksfeinde zu verhaften. Keiner wusste, wen es als Nächsten treffen würde. Darüber schrieb Juri Trionow den 1976 erschienenen Roman Das Haus an der Uferstraße; und dessen Witwe betreibt dort heute ein Museum über die brutalen "Säuberungen".

Gerade hier, an diesem ernsten Ort, "Wohnungsausstellungen" zu veranstalten, findet Mraz nicht ohne Witz. Zudem müsse er sich niemandem beugen: Er könne in seinen Privaträumen machen, was er wolle, ohne Zensur befürchten zu müssen. Um sich aber abzusichern, klebte er für die Laufzeit der jüngsten Ausstellung, die sowohl der "künstlerischen Selbsterfindung" wie der "puren Lust am Leben und Lieben" gewidmet ist, das Schild "18+" auf die Tür.

Eva & Adele, das Berliner Duo in zumeist schrillen Damenkostümen, nahm die Einladung, zur erstaunlich gut besuchten Eröffnung zu kommen, jedoch nicht an. Mraz konnte für deren Sicherheit nicht garantieren. Und so hängen von Eva & Adele, die zuletzt durch die Art Basel stöckelten, in der Ausstellung nur zwei rosarote, mit "Futuring Mockba" bestickte Topflappen, um leichter heiße Themen anfassen zu können.

Von denen gibt es genug. Die Boygroup Gelatin, die kürzlich für eine Woche in Moskau mit russischen Künstlern zusammenarbeitete, ist zum Beispiel mit Ständerfotos vertreten (die Mitglieder präsentieren in Landschaften stolz ihre erigierten Penisse). Die meisten Arbeiten sind zudem an Ort und Stelle entstanden. Nikita Schochow zeigt rund 25 Fotos aus seiner Serie Moscow night life, in der er reportagehaft die dekadente Clubszene illustriert: Zu sehen sind u. a. koitierende, maskierte, betrunkene, strippende, feiernde Menschen. Als Ergänzung dazu präsentiert Mraz Fotos herausgeputzter Frauen in High Heels von Teresa Marenzi und Daniel Bacher (Moscow High). Einen krassen Gegensatz bilden die kühlen Fotos, die Hanna Putz in Moskau von eher einsamen Menschen im öffentlichen Raum schoss.

Im Zentrum der Schau stehen die großformatigen Fotoporträts posierender Models von Daria Marchik (Eine Kollektion verlockender Charaktere). Mraz kontrastiert sie gelungen mit einer lebensgroßen betenden Madonna, die Veronika Allmayer-Beck aus Supermarkt-Prospekten fertigte: Der Glorienschein ist ein "Rosenkranz" aus gelben Tennisbällen.

Manche Arbeiten, darunter das Video, in dem sich Fiona Rukschcio mit Vergänglichkeit und dem Verpassten beschäftigt, fallen ein wenig heraus. Doch es gibt immer einen guten Grund, warum Mraz, eigentlich ein Spezialist für Alte Meister, sie zeigt:

Die Grazer Gruppe G.R.A.M. zum Beispiel lernte er 2013 auf der Moskauer Fotobiennale kennen. Er erzählte ihnen, dass Doktor Schiwago in den 1960er-Jahren auch in der österreichischen Botschaft gedreht wurde. Günther Holler-Schuster und Martin Behr, die unter anderem Lenin im Mausoleum nachstellten, entschlossen sich zu einem "Reenactment" der Ballszene. Das Shooting mit den Botschaftsmitarbeitern in Alltagskleidung fand im November 2013 statt. Das Ergebnis hat den Witz, den Mraz mag: Links neben ihm steht Botschafterin Margot Klestil-Löffler. (Thomas Trenkler aus Moskau, DER STANDARD, 30.6.2014)