Grüße aus "Old Weird America": Bob Dylan und Band euphorisierten ihr Wiener Publikum.

Foto: Paolo Brillo / www.paolobrillo.com

Wien - Eine Kopie einer Oscar-Statuette steht beim ersten von zwei Österreich-Konzerten wie gehabt auf der Bühne. Ansonsten hat sich aber, wie Bob Dylan im Opener Things Have Changed (für den er einst die begehrteste Auszeichnung der Filmwelt einheimste) singt, jüngst einiges geändert. Nicht nur weil sich zum Oscar neuerdings Büsten von Beethoven und der jungen Dame "Poesie" als Bühnendekoration gesellen und die Auftrittsansage Gitarrenriffs in Moll gewichen ist.

Während eine mit jedem Auftritt wechselnde Songauswahl lange zu den Verlockungen von Dylans "Never Ending Tour" gehörte, hält sich der Musiker seit dem vergangenen Jahr - natürlich nicht ohne Ausreißer - an eine weitgehend statische Setlist.

Ältere Songs aus Dylans gewaltigem Liederbuch mussten jüngerem Material Platz machen. Gut zwei Drittel der Stücke stammen von Alben, die seit dem Songwriter-Comeback 1997, Time Out of Mind, erschienen sind; nicht weniger als ein Drittel ist aus dem jüngsten Studioalbum Tempest (2012).

Musiker in voller Fahrt

Die Intensität, mit der sich der 73-Jährige gerade seinen jüngeren Songs widmet, lässt indessen das teils aus den östlichen Nachbarländern angereiste Publikum nichts vermissen. Es sind Songs wie der Tempest- Opener Duquesne Whistle Blues, bei denen Dylan und seine Band in volle Fahrt kommen und entsprechenden Applaus in der nur zu zwei Dritteln gefüllten Wiener Stadthalle ernten.

Überhaupt die Band: Selten zuvor waren die vor imposanten Filmscheinwerfern aufgereihten und in ihren dunklen Anzügen wie Ganoven aussehenden Musiker mit einem derart differenzierten Zusammenspiel zu erleben. Die Vertrautheit mit dem Songmaterial hat hier offenbar nicht zu Langeweile geführt, sondern neue Freiräume eröffnet.

Immer an den richtigen Leerstellen und ohne eine Note zu viel blitzen die Licks des Multiinstrumentalisten Donnie Herron und des bereits zum zweiten Mal in die Band zurückgeholten einstigen Gitarrenwunderkinds Charlie Sexton auf. Nur bei Early Roman Kings schaffen es die bewährten Musiker nicht, aus formelhaftem Blues-Rock mehr zu machen als eine Nummer zum Verschnaufen.

Für die größte Überraschung aber sorgte Dylan selbst, dessen Stimme nicht nur weniger zerschossen als in den letzten Jahren wirkte, sondern mit einer unvermuteten Elastizität beeindruckte. Mit nichts wurde das faule Diktum vom großen Songwriter, aber lausigen Interpreten Dylan mehr Lügen gestraft als mit einer atemberaubenden Version des dunkel schillernden, von gestrichenem Kontrabass und Viola begleiteten Forgetful Heart. In seiner Dringlichkeit wurde der 2009er-Song noch gesteigert durch ein perfekt gesetztes Mundharmonikasolo.

Zur Mundharmonika griff Dylan auch bei den wenigen dargebotenen, mit dem Instrument aber stark assoziierten frühen Klassikern: darunter eine gravitätische Version von She Belongs to Me und eine zarte von Simple Twist of Fate, erschienen auf dem Siebzigerjahre-Meisterwerk Blood on the Tracks.

Tasten statt Gitarrensaiten

Was zur Vervollständigung des im popkulturellen Gedächtnis verankerten Images fehlt, ist die Gitarre. Stattdessen setzt sich Dylan seit einiger Zeit lieber an den Stutzflügel, dessen Tasten im Geiste von Little Richard und Thelonious Monk genauso eigenwillig und doch immer irgendwie passend bedient werden wie früher die Gitarrensaiten.

Besonders beherzt etwa beim Country-Walzer Waiting for You, einem weiteren für einen Film komponierten Song. Bei dem fällt es leicht, sich Dylan und seine Musikanten auf der staubigen Kleinbühne eines Südstaatenkaffs zur Zeit der Minstrel-Shows vorzustellen. In seinem an einen Riverboat-Gambler erinnernden Outfit wirkt Dylan wie ein Bewohner jener mythischen Welt, die Greil Marcus als "Old Weird America" bezeichnet hat und von Dylan gerade in seinen neueren Songs gerne beschworen wird.

Ebenso oft wie Dylan am Klavier sitzt, steht er in der Bühnenmitte, ohne Gitarre, mit einer Hand am Mikrofonständer, während die andere die Mundharmonika umklammert oder Anleihen bei der sparsamen, aber wirkungsvollen Bühnengestik Leonard Cohens nimmt. Jeder Ausfallschritt des Musikers wird mit Szenenapplaus bedacht. Ein Rätsel bleibt indessen, ob zwei zusätzliche Mikrofone eine andere Funktion erfüllen, als unerwünschte Fotografen endgültig zu entmutigen.

Neues und Altes zum Schluss

In der Bühnenmitte spielen sich die konzentriertesten Konzertmomente ab, so auch beim mutig an den Schluss gesetzten Long And Wasted Years. Die Rechnung geht auf: Nach den wasserfallartigen Tonkaskaden des noch jungen Songs will ein euphorisiertes Publikum mehr.

Zur Belohnung greifen Dylan und Band für die Zugaben doch noch einmal in die Klassikerkiste, bringen das alte Schlachtross All Along the Watchtower mit ihrem dynamischen Zusammenspiel zum Heulen und machen sogar das an den Lagerfeuern dieser Welt verwüstete Blowin' in the Wind als ganz und gar unironischen Walzer genießbar. Ein großer Abend, von dem allenfalls Hardcore-Fans auf der Jagd nach selten gespielten Raritäten enttäuscht nach Hause gingen. (Karl Gedlicka, DER STANDARD, 30.6.2014)