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Milorad Dodik, Präsident der Republik Srpska, neben einer Statue des Attentäters Gavrilo Princip.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Nicht nur die Prinzenfans, auch der serbische Prinz selbst ist gekommen. Aleksandar Karađorđević marschiert mit den Popen und hinter den Prinzenfans durch die Straße "Junges Bosnien“. Die Prinzenfans haben weiße große Fahnen auf denen dem Königreich Serbien gehuldigt wird und ein Foto des Prinzen zu sehen ist. Prinz Karađorđević muß auch unter dem Abbild des Mörders eines Thronfolgers vorbei. Aber in Andrićgrad ist Volksfeststimmung. Die Sicherheitsvorkehrungen an diesem 28. Juni sind auch deutlich besser als vor hundert Jahren. Wer nach Andrićgrad hinein will, muss durch eine Schleuse.

In der Museumsstadt ist es vor allem heiß. Alle warten auf den hohen Besuch. Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik und Regisseur Emir Kusturica sind schon da und sitzen an der Drina beim Frühstück. Dann tauchen Hubschrauber am Junihimmel auf. Alle blicken nach oben. Der Premier von Serbien, Aleksandar Vučić ist im Anflug. Der St. Veitstag steuert auf den Höhepunkt zu.

Symbolische Wirkung

Vučić, der ursprünglich erwogen hatte nach Sarajevo zu kommen, um hier des Attentats zu gedenken, was auch von der österreichischen Staats- und Regierungsspitze unterstützt wurde, hält eine vergleichsweise harmlose Rede. Doch seine Präsenz bei der Veranstaltung in Andrićgrad hat eine symbolische Wirkung, weil er neben Milorad Dodik steht, der gar keine harmlose Rede hält, sondern wieder einmal dafür plädiert, dass sich die Republika Srpska aus Bosnien-Herzegowina herauslöst.

Vučić selbst spricht vom Frieden und betont die speziellen Beziehungen zwischen Serbien und der Republika Srpska. Er meint auch, dass „heute, am größten serbischen Feiertag, nicht die Zeit oder der Ort“ sei über "jene kleinen Leute zu sprechen oder diejenigen, die versuchen würden unsere Geschichte zu zerstören“. Zum Ersten Weltkrieg oder Gavrilo Princip äußerte er sich gar nicht. Aber er spricht von seinem "Freund Milorad“.

"Freiheitskampf-Gedanken"

Auch Milorad Dodik beginnt mit dem Frieden. „Aber wir wollen nicht, dass uns Europa einen bosnischen Staat und eine bosnische Sprache auferlegt“, kommt er dann aber gleich zum Thema. Bosnien-Herzegowina habe alles gezeigt außer, dass es in der Lage sei zu überleben. "Aber darüber sprechen wir ein ander Mal“, sagt Dodik, um dann zu Gavrilo Princip überzuleiten.

Dessen Schuss sei ein Schuss für "die Freiheit und Emanzipation“ gewesen sei und man habe darauf begonnen sich von den Okkupatoren (gemeint ist Österreich-Ungarn, das Bosnien-Herzegowina 1908 annektiert hatte), zu befreien. Dann führt Dodik diesen "Freiheitskampf-Gedanken“ weiter und verbindet ihn direkt mit seinem heutigen politischen Ziel, dass die Republika Srpska unabhängig wird, indem er eine Linie zwischen den Besatzern von damals und angeblichen heutigen Besatzern zieht.

"Wir sind im Jahr 2014 angekommen, wo verschiedene internationale Besatzer versuchen uns das aufzudrängen, was Österreich-Ungarn nicht geglückt ist“, so Dodik. "Wir wollen das nicht, wir wollen unsere Freiheit.“ Andrićgrad sei ein Ort, um den Namen des serbischen Volkes und seines Kampfes für die Freiheit zu verbreiten.

Vertrag von Dayton

Der Vertrag von Dayton, auf den Dodik anspielt, sichert, dass Bosnien-Herzegowina ein einheitlicher Staat bleibt. Und es gibt auch noch einen ausländischen Verwalter in Bosnien-Herzegowina. Praktisch hat aber der Hohe Repräsentant – zurzeit Valentin Inzko – kaum mehr etwas zu sagen und im politischen Alltag kein Gewicht. Die USA und Großbritannien haben aber Interesse daran, dass das Amt des Hohen Repräsentanten beibehalten wird. Dodik bezieht sich danach auf einen nicht näher benannten Außenfeind.

"Wir haben gesehen, dass viele nicht nur die Serben eliminieren wollen, sondern auch ihre Geschichte zerstören wollen. Aus Sarajevo wurden die Serben vertrieben, und dann haben sie begonnen, uns die Geschichte wegzunehmen“, so der Präsident der RS. Deshalb sei es logisch, die Geschichte hierher, also nach Andrićgrad zu bringen. "Heute ist es klar, dass es etwas gibt, das einen Namen und einen Nachnamen hat, das ist das serbische Volk, dessen Name Serbien ist und der Nachname Republika Srpska“, so Dodik.

Ethnische Säuberungen

Was Dodik nicht erwähnt, ist, dass während des Kriegs (1992-1995) (auch in besonders grauenvoller Weise in Višegrad) Nicht-Serben ermordet und vertrieben wurden und die heutige „ethnische“ Zusammensetzung der Republika Srpska eine Folge der ethnischen Säuberungen ist. Was Dodik auch nicht erwähnt ist, dass viele Serben Sarajevo zu Kriegsende verlassen haben, weil dies von serbischen Politikern damals so gewollt wurde.

"Der, der leben will, soll sterben. Der, der sterben will, soll sterben“, steht auf dem T-Shirt der jungen Männer, darüber ist in Gelb das Abbild von Gavrilo Princip zu sehen. Dejan sagt, diesen Satz habe Gavrilo Princip in den Holzteller geritzt, als er im Gefängnis in Terezin saß. Er bedeute, dass man sich für die Freiheit aufopfern muss. Auf der Rückseite seines T-Shirts steht: "Meine Seele fliegt durch den Himmel. Ich habe getötet, doch meine Seele ist ohne Sünde. Ich werde ruhig vor meinem Herrn stehen.“ Dejan, Demijan und Vladimir haben die T-Shirts extra für den 28. Juni 2014 anfertigen lassen. Die Gavrilo-Princip-Fans sind Studenten der Politikwissenschaft in Belgrad und heute extra nach Andrićgrad gekommen.

Vier Arten von T-Shirts

"Das ist ein Weg, um zu zeigen, dass dieser Jahrestag lebendig bleibt so wie jene, die dieses Erbe gemacht haben, dies wollten“, erklärt Dejan seine Affinität zu Princip und die T-Shirts. Aber was bedeutet das heute? "Selbstbestimmung“, sagt Dejan. Diese Selbstbestimmung gäbe es aber nur, „wenn die Nation vereint ist“, so der junge Mann. Dejan und seine Freunde wollen also eine Vereinigung aller Serben in einem Staat. "Deutschland blieb nach dem Krieg getrennt“, erklärt er, "und dann gab es das Recht auf Vereinigung aller Deutscher. Das muss es für alle geben.“ Und wie? „Durch demokratische Mittel“, meint Dejan. Dann bringt er noch einen anderen Vergleich. "Auch Albanien und der Kosovo haben das Recht auf Selbstbestimmung. Weshalb wird anderen Leuten dieses Recht verweigert?“

Die jungen Männer mit den schwarzen T-Shirts und dem gelben traurig blickenden Gavrilo Princip auf der Brust haben also offensichtlich ein ähnliches Projekt wie Milorad Dodik. Es gibt insgesamt vier Arten von "Gavrilo Princip“-Shirts, die heute in Andrićgrad getragen werden. Da sind erstens die Jugendlichen, die die roten Gavrilo-T-Shirts ausgeteilt bekommen haben, weil sie für die Organisation Andrićgrad arbeiten, es gibt auch noch braune und weiße Gavrilo-Shirts. Gavrilo Princip wird hier jedenfalls zu einem Freiheitshelden stilisiert, der auch die Republika Srpska, die nach dem Bosnien-Krieg anerkannt wurde, im Namen der Freiheit moralisch legitimieren soll.

Mosaik-Enthüllung

An diesem St. Veitstag wird auch ein Mosaik in Andrićgrad enthüllt. Es handelt sich um ein Bild über die Bewegung „Junges Bosnien“ (Mlada Bosna) und zeigt die Attentäter, ganz vorne im Bild Gavrilo Princip, die wie Schattenfiguren aus einem grünen Meer steigen. Daneben ist eine Europa mit einem Stier zu sehen, die am Boden liegt und dahinter ein Gebäude, das das Schloss Belvedere oder Schönbrunn andeuten könnte. Darunter steht der berühmte Satz, den Gavrilo Princip in seiner Gefängniszelle in die Wand geritzt haben soll: "Noch unsere Schatten werden durch Wien laufen, bei Hofe umherirren, die Herrschaft erschrecken.”

Der 28. Juni in Andrićgrad ist ein Tag, wo viele Besucher auf der Suche nach Schattenplätzen sind. Die Menschen scharen sich unter Hausdächern. Die Cafés sind heillos überfüllt. Ein Orchester spielt. Popen schäkern. Dann setzt sich der Zug in Bewegung. Kusturica, Dodik und Vučić gehen los, um eine Tour durch Andrićgrad zu machen, was nicht besonders lang dauert, weil Andrićgrad sehr klein ist. Dahinter gehen die Popen, dann die Typen mit den Fahnen auf denen "Königreich Serbien“ steht. Ein Tross von Menschen folgte den dreien, manche wollen Vučićs Hand schütteln.

Attentats-Theater

Ein paar Leute lassen sich bei der Statue des Dichters Petar II. Petrović-Njegoš fotografieren. Dodik und Kusturica bekommen an diesem Tag übrigens einen Orden der orthodoxen Kirche. Patriarch Irenej hat bereits in der Früh die Kirche in der Museumsstadt eingeweiht, die nach Zar Lazar benannt ist, der auch noch die Verbindung zum Kosovo-Mythos und den Kosovo-Serben herstellt.

Auch ein paar Mädchen suchen nach Schatten. Sie haben historische Kostüme an, weil sie am Abend dann bei dem Theaterstück von Kusturica über das Attentat mitspielen. Sie sind aus Serbien, nämlich aus der Stadt Bajina Bašta angereist und todmüde. Denn sie mussten am Vortag bereits zu den Proben nach Andrićgrad und dann wieder zwei Stunden retour fahren und dann ein paar Stunden später wieder nach Andrićgrad. "Wir haben nichts geschlafen“, sagen die Mädchen.

Ein Bursch erzählt, dass er einen jener Männer spielt, die dann unter österreichisch-ungarischer Herrschaft "aufgehängt“ wurden und senkt exemplarisch den Kopf. Tatsächlich wurden nach dem Attentat auf Franz Ferdinand viele Serben in Bosnien-Herzegowina festgenommen, manche wurden zum Tode verurteilt. Ob sie etwas von all dem in der Schule gelernt haben? "Nein noch nicht, das kommt erst in der nächsten Klasse“, sagt eine der Schülerinnen. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 29.6.2014)