Der jüngste EU-Gipfel wurde zwar von den Zwistigkeiten über die Bestellung des neuen EU-Kommissionspräsidenten überschattet. Aber eigentlich hatten die 28 Staats- und Regierungschefs Grund zu feiern: Die Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und vor allem mit der Ukraine stellen einen der größten außenpolitischen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte da.

Der Kampf um die Ukraine mit Russland ist ein zentrales Ereignis für die Zukunft Europas. Eines der bevölkerungsreichsten Länder des Kontinents muss zwischen zwei Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen wählen: dem autoritären, nationalistischen und staatskapitalistischen Kurs Moskaus oder dem demokratischen, weltoffenen und marktwirtschaftlichen System, das die EU vertritt.

Russland als starker Gegenspieler

Mittel- und Südosteuropa hat sich fast geschlossen für die EU entschieden, selbst Serbien verbannt allmählich seine nationalistischen Geister, um den Weg in die Union zu finden. Aber in der ehemaligen Sowjetunion ist Russland ein starker Gegenspieler. Doch nur wenn die Ukraine in dessen Einflussbereich bleibt, kann Moskau eine echte Alternative zur europäischen Integration bieten.

Vor sechs Monaten hat es noch ausgesehen, als ob Russland das gelingen würde. Doch mit dem Aufstand auf dem Maidan und dem Sturz von Wiktor Janukowitsch ist die Ukraine kompromisslos ins westliche Lager gerückt. Und dieser weltpolitisch wichtige Schwenk wurde mit dem wirtschaftlichen Teil des EU-Assoziierungsabkommens am Freitag besiegelt.

Ukraine ist für Putin verloren

Europas Machtlosigkeit gegenüber der russischen Aggression in der Ostukraine darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wladimir Putin die Ukraine praktisch verloren hat und nur noch eine Rückzugsschlacht führt. Anders als nach der Orangen Revolution von 2004 wird es ihm diesmal nicht gelingen, eine prorussische Führung in Kiew einzusetzen. Das hat er durch die Abspaltung der Krim selbst verunmöglicht.

Wie immer der Bürgerkrieg in der Ostukraine ausgeht – und die Zeichen stehen auch nach der Verlängerung der Feuerpause auf Fortsetzung des Blutvergießens –, kann Putin im für ihn besten Fall in diesem Teil des Landes für ständige Unruhe sorgen und es der Herrschaft Kiews de facto entziehen.

Aber weder ist eine formelle Annexion vorstellbar, noch ist es wahrscheinlich, dass die Kämpfe den neu gewählten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ernsthaft schwächen. Im Gegenteil – die Bedrohung aus Russland dürfte den Rest des Landes zusammenschweißen. Die Ukraine wollen wie die Polen leben und nicht wie die Weißrussen.

Erfolg der "Soft Power"

Und damit ist die Eurasische Zollunion, Putins Gegenentwurf zur EU, Geschichte. Die Union kann erneut beweisen, dass sie durch ihre "Soft Power" – das Versprechen, durch Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft jenen Wohlstand zu schaffen, den sich alle Menschen im 21. Jahrhundert erträumen – mehr zur Schaffung einer stabilen regionalen Ordnung beitragen kann als die Militärmacht Russlands oder auch einer USA.

Das vereinte Europa ist in erster Linie ein Friedensprojekt, geschaffen als Antwort auf den Geist von 1914, der die russische Politik bis heute prägt, und auf die darauffolgenden Katastrophen. Aber eine solche Friedenszone ist nur dann stabil, wenn an ihren Grenzen keine mächtigen Konkurrenten sitzen, die völlig andere Ziele und Werte vertreten.

Die Entscheidung der Ukraine hat das Gleichgewicht zwischen den beiden Polen Brüssel und Moskau zugunsten des Westens und der EU verschoben. Die russische Autokratie wurde zum zweiten Mal seit 1989 geschwächt. Der Kampf um die Zukunft des "Grenzlandes" – die Bedeutung des Namens Ukraine – ist noch nicht entschieden. Aber Europa liegt – um in der Sprache des Fußballs zu sprechen – nach der ersten Halbzeit klar in Führung. (Eric Frey, derStandard.at, 29.6.2014)