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Muqtada al-Sadr lässt in Bagdad seine Mahdi-Armee paradieren, als "Friedenskämpfer" gegen die Isis.

Foto: REUTERS/Ahmed Saad

Die ersten Sprünge in der sunnitischen Ad-hoc-Allianz, die im Norden und Westen Bagdads gegen die irakische Regierung kämpft, werden sichtbar: In Hawija bei Kirkuk versuchen offenbar stammessunnitische und baathistische Kämpfer gemeinsam die Jihadisten der Isis (Islamischer Staat in Irak und Syrien) zu vertreiben - natürlich nicht, um das Gebiet danach der Regierungskontrolle zu übergeben.

Den Sunniten steht ebenfalls kein geeinter schiitischer Block gegenüber. Die irakische Armee, die dem Isis-Vormarsch nur wenig entgegensetzte, wird nun von schiitischen Freiwilligeneinheiten ergänzt. Ayatollah Ali Sistani hat die Schiiten zur Verteidigung des Irak aufgerufen - und zwar, obwohl er Premier Nuri al-Maliki kritisch gegenübersteht, explizit unter dem Dach der Armee, nicht als private Milizen.

Malikis Spezialeinheiten

Maliki hat schon vor dem Ausbruch der jetzigen Krise Schiitengruppen als "Söhne des Irak"-Spezialeinheiten in die Armee aufgenommen - einer der Gründe, warum so viele Sunniten Angst vor ihr haben. Dabei handelt es sich vor allem um die Asaib Ahl al-Haq (AAH), nach ihrem Gründer auch als Khazali-Netzwerk bekannt, eine Abspaltung von der Mahdi-Armee Muqtada al-Sadrs. Diese Miliz hat einen politischen Arm, die Sadiqun (die Aufrichtigen), die mit Malikis "Rechtsstaats"-Parteienbündnis zusammenarbeiten. Was irakischen Nationalisten besonders sauer aufstößt ist, dass die AAH unter der Patronanz des Kommandanten der al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, Qassem Soleimani, steht.

Sie ist auch in Syrien auf der Seite des Assad-Regimes im Einsatz, vor allem mit der Aufgabe, die schiitischen Stätten, wie etwa den Schrein der Sayyida Zainab (einer Enkeltochter des Propheten) in Damaskus, vor Angriffen von sunnitischen Extremisten zu schützen. Die Sunniten beschuldigen die AAH aber ihrerseits der konfessionell motivierten Angriffe und sehen sie vor allem als langen Arm Teherans.

Eine weitere, besonders radikale, wenn auch militärisch nicht so potente schiitische Miliz ist die Jaysh al-Mukhtar, eine Abspaltung der irakischen Hisbollah. Zwar wurde ihr Iran-treuer Chef Wathiq al-Battat im Jänner verhaftet, aber Maliki wird dennoch mangelnde Distanz vorgeworfen.

Die AAH hat nicht nur sunnitische, sondern auch einen schiitischen Feind: Muqtada al-Sadr, der schon zu Beginn der Isis-Offensive seine eigenen Leute, die frühere Mahdi-Armee, mobilisierte. Sadr ist ein ausgesprochener Maliki-Gegner und zeigt Verständnis für die Anliegen der Sunniten. Die AAH-Milizionäre bezeichnet er als "Killer, die keine Religion haben". Er warnte aber auch davor, frühere Besatzungsmächte - also die USA - am Kampf gegen die Isis teilnehmen zu lassen. Deshalb kommt es für ihn nicht in Frage, seine Miliz, die er zu Wochenmitte in Bagdad als "Friedenskämpfer" paradieren ließ, in die irakische Armee zu integrieren.

Neben den großen Gruppen gibt es noch jede Menge kleinere, führungslose. In gemischten Gebieten ist die Angst der Sunniten vor den wilden schiitischen Patrouillen und Checkpoints zurückgekehrt, wo oft der "falsche" Name genügt, um getötet zu werden.

"Polytheistische" Städte

Ihrerseits wütet die Isis gegen Schiiten. Hunderte wurden umgebracht. Ein Isis-Sprecher kündigte an, die alte Rechnung mit den Schiiten - im Streit um die Führung der Muslime nach dem Tod des Propheten Muhammad - in den "polytheistischen" Städten Karbala und Najaf begleichen zu wollen. Ein Vorrücken der Isis gegen die den Schiiten heiligen Städte würde wohl schiitische Milizen aus der ganzen islamischen Welt anziehen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 27.6.2014)