Ambrose Akinmusire: "Ich will rauskommen aus dem Ich-ich-ich-Denken."

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Wien - Lächeln sieht man ihn selten. Sowohl auf dem Aprilcover von Downbeat als auch auf jenem seiner neuen CD The Imagined Savior Is Far Easier To Paint wirkt Ambrose Akinmusire ernst, in sich gekehrt. Es sind Bilder, die zur Musik des 32-jährigen Trompeters zu passen scheinen, der eine reflexive Aura zueigen ist. Akinmusire hat auf seinem Instrument als tiefgründiger Sänger ohne Worte auf sich aufmerksam gemacht. Er vereint in sich die Begabung eines erfindungsreichen lyrischen Melodikers mit dem Wissen um die Energie der freien Improvisation. Jeder Ton wirkt raffiniert platziert und sinnlich mit Bedeutung aufgeladen.

"Mein größter Einfluss ist eigentlich die weibliche Stimme. Meiner Beobachtung nach beinhaltet sie mehr Emotion alles jedes Instrument. Sogar beim Sprechen: Wenn eine Frau ein Wort ausspricht, kann es durch den Tonfall sehr viele verschiedene Bedeutungen haben", so Akinmusire, der Joni Mitchell und Björk als wichtige Einflüsse nennt.

Mitte 2012 ist der Trompeter von New York nach Los Angeles übersiedelt - zurück nach Kalifornien, wo sein Weg einst begonnen hat. Wurde er doch 1982 in Oakland geboren, als Kind einer Mutter aus einer "Hardcore-Baptisten-Familie" aus Mississippi, und eines Vaters aus Nigeria:

Gospel und Afrika

"Meine Eltern trennten sich, als ich vier war. Im Haus meiner Mutter wuchs ich mit Gospel und Aretha Franklin auf, bei meinem Vater hörte ich traditionelle westafrikanische Musik, auch King Sunny Adé und Fela Kuti. Es war spannend, auf diese Weise die Traditionslinie zurückverfolgen zu können. Afroamerikaner können das üblicherweise nicht, denn ihre Wurzeln sind abgeschnitten. Meine Wurzeln lagen offen vor mir." In Los Angeles, während Akinmusire bereits an der Manhattan School of Music studierte, gewann er 2007 auch die Thelonious Monk International Jazz Competition. Ein Plattenvertrag mit Blue Note war die Folge, der sich bisher in zwei vielgelobten Alben materialisierte.

Der Sohn, der Freund

Akinmusire dazu: "Viele Musiker sammeln einfach Stücke und stülpen dann einen Albumtitel drüber. Wenn ich die Arbeit an einem Album beginne, habe ich jedoch schon eine Vorstellung davon, wie es klingen wird. Es hat damit zu tun, wo ich in meinem Leben stehe und was ich erlebt habe. In gewisser Weise sind es Eintragungen in ein Tagebuch", so Akinmusire, für den When The Heart Emerges Glistening von 2011 ein Dokument der "ehrlichen Reflexion der positiven und negativen Seiten in mir selbst" darstellt.

Im Zuge der neuen CD The Imagined Savior Is Far Easier To Paint habe er hingegen versuche, sich "den anderen Rollen zu widmen, die ich in meinem Leben habe. Als Sohn, als Freund und all die anderen Dinge. Ich will damit doch rauskommen aus dem Ich-ich-ich-Denken."

Üblicherweise stecke hinter den einzelnen Stücken jeweils eine konkrete Geschichte oder Person. Im Falle der berückenden Ballade Confessions To My Unborn Daughter erfährt das eine geradezu programmmusikalische Umsetzung: "Der Komposition liegt die Vorstellung einer Tochter zugrunde, die eines Tages geboren werden könnte. Und der ich, wenn sie mich irgendwann fragen würde, was ich mit 21 oder 25 getan habe, keinen Bullshit erzählen müssen will. Am Beginn, wenn die Band einsetzt, steht ihre Frage. Danach komme ich, mit der Antwort. Die Bridge steht für die Auflösung", erklärt Ambroise Akinmusire, der auch wachen Sinns in die Welt hinaus horcht und keine Scheu hat, brisante Themen aufzugreifen.

"Irrtümlich" erschossen

Die Stücke My Name Is Oscar und Rollcall For Those Absent thematisieren schwarze Opfer amerikanischer Polizeiübergriffe, von Oscar Grant, der wie Akinmusire aus Oakland stammte und 2009 im Alter von 22 Jahren "irrtümlich" erschossen wurde, bis hin zu Trayvon Martin. In letzterem Stück verliest die siebenjährige Muna Blake mit unschuldiger Kinderstimme die Namen der Getöteten - ein Kunstgriff mit bittersüß-abgründiger Wirkung.

Akinmusire: "Politisch Stellung zu beziehen ist nicht neu. Das ist Teil der Tradition des Jazz. Außerdem: Was sonst sollte ich tun? Auf die Bühne gehen und einfach nur tolle Trompeten-Soli spielen? Nein, ich denke, mir wurde die Gelegenheit gegeben, Statements zu formulieren, die gehört werden. Also sollte ich sie nützen." (Andreas Felber, DER STANDARD, 26.6.2014)