Zähes Ringen um Kreativität und Anerkennung: Emmanuelle Devos als Schriftstellerin Violette Leduc (1907-1972).

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Wien - Es ist eine riskante und höchst respektable Unternehmung, einen Film über eine radikale Schriftstellerin zu realisieren, deren Ruhm in der Gegenwart verblasst ist: Regisseur Martin Provost (Seraphine) nähert sich mit Violette Leduc einer Außenseiterin, einem weiblichen "poète maudit" der französischen Literatur. Durch ihre schonungslose Darstellung von Missbrauch und Zurückweisungen, die sie durch ihre Mutter erfahren hat, erregte sie bereits im Paris der 1940er-Jahre Aufsehen; später schrieb sie über Abtreibung, erste lesbische Erfahrungen, ihre Not mit dem Begehren; erst mit dem Bestseller Die Bastardin wurde sie in den 1960ern international bekannt.

Gefördert und protegiert hat sie von Anfang an Simone de Beauvoir (Sandrine Kiberlain). Violette beschäftigt sich einerseits mit dieser ungewöhnlich intensiven Frauenfreundschaft. Im Zentrum steht jedoch die leidenschaftliche, unkonventionelle und von Selbstzweifeln getriebene Autorin. Provost wahrt dabei Zurückhaltung. Er interessiert sich fürs zähe Ringen mit der eigenen Kreativität: In Emmanuelle Devos hat er eine außerordentliche Darstellerin, die der historischen Figur zu großer Präsenz verhilft.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat Violette Leduc in Frankreich? Ich muss zugeben, ich kannte sie vor dem Film nicht.

Devos: Ich kannte sie auch nicht! Man hat sie als lesbische Autorin in eine Schublade gesteckt, und das hat dazu geführt, dass sie wohl vor allem von dieser Seite interessierte Leserinnen bekam. Das ist schade, da es sie einschränkt: Es gibt etwas sehr Universelles in ihren Texten, und darauf hat man mit der Zeit komplett vergessen.

STANDARD: Kann man Leducs Leben überhaupt vom Werk trennen?

Devos: Sie hat sich sehr oft selbst zum Gegenstand genommen -- vielleicht auch durch den Einfluss Simone de Beauvoirs, die ihr geraten hat, auf soziale Themen einzugehen: wie Abtreibung, die Situation der Frau etc. Ich wollte bei der Vorbereitung immer mehr über jene ihrer Bücher reden, die nicht so berühmt waren wie Thérèse et Isabelle und Die Bastardin, ihre Autobiografien. Die zeigen vor allem die skandalisierte, homosexuelle Seite ihres Schreibens. Ich halte etwa Trésors à prendre für stilistisch ganz außerordentlich, sie schreibt über ihre Liebe zur Natur, es gibt Referenzen auf die Kunst und französische Literatur.

STANDARD: Im Film gewinnt man den Eindruck, dass sie nicht so feministisch war wie de Beauvoir. Sie denkt nicht wie diese an die Wirkung des Buches in der Öffentlichkeit. Hat sie intuitiver entschieden?

Devos: Die Ironie der Geschichte ist tatsächlich, dass Violette die Lage der Frau oder die Frage der Emanzipation nicht gleichgültiger hätte sein können. Sie hat kein Ziel verfolgt. Was sie gekümmert hat, war sie selbst, ihre Identität, ihre Liebesbeziehungen -- das aus einer sozialen Perspektive zu sehen, kam ihr nicht in den Sinn.

STANDARD: Wie haben Sie zu ihr als Figur gefunden -- mehr durch Leducs Bücher oder auch durch Milieu und Öffentlichkeit der 1960er?

Devos: Zuerst habe ich Leduc mit den Augen von Martin Provost gesehen, er verstand sie als eine Art Vorwand, durch den man auf den Prozess des Schreibens blicken konnte. Das Schreiben selbst war der wichtigste Aspekt des Films. Ich habe ihre Bücher gelesen, Briefe, am Ende ihres Lebens gab sie auch etliche Interviews. So konnte ich eine klare Vorstellung davon gewinnen, was sie als Frau definierte. Ich hatte auch Zeit, das alles zu verdauen und "unsere eigene Violette" zu schaffen. Wir haben sie wohl weniger exzentrisch gemacht, weniger hysterisch. Sie hatte diese immensen Wutausbrüche, die im Film nur eingeschränkt vorkommen.

STANDARD: Wie kam es zu diesem Fokus aufs Schreiben?

Devos: Wir wollten keinen Kostümfilm machen. Für Martin Provost ging es vor allem um die Frage, warum jemand überhaupt den Drang hat zu schreiben. Natürlich gibt es den historischen Hintergrund, die 1940er- und 50er-Jahre. Doch das war mehr Kontext.

STANDARD: Aber versteht man die kämpferische Position von Leduc, wenn man sie aus ihrer Zeit herauslöst? Es ist schwer vorstellbar, dass heute noch jemand wie sie so authentisch über ihr Begehren, ihre Wut und Einsamkeit schreibt.

Devos: Ja und nein. Ich bin mir nicht so sicher. Sie hat sich ja nicht darüber beschwert, eine Frau in den 1940er- oder 50er-Jahren zu sein, sondern darüber, hässlich zu sein. Daran litt sie. Wenn sie sich heute mitteilen würde, würde es vielleicht in einem anderen Medium passieren. Sie hat sich sehr für andere Ausdrucksformen, etwa für Jazz, interessiert. Vielleicht irre ich mich, aber ich habe das Gefühl, dass ihr Kampf ungemein modern war. Sie hat es tatsächlich geschafft, sich selbst Geltung zu verschaffen, Eindruck zu machen.

STANDARD: De Beauvoir hat ihr erst ermöglicht, frei zu arbeiten. Leduc wollte allerdings mehr als eine Arbeitsbeziehung -- diese Ambivalenz zeigt der Film besonders gut.

Devos: Der Film erzählt von den beiden Lieben ihres Lebens. Mit ihrer Mutter verband sie eine verzehrende, äußerst destruktive Beziehung. Erst die Bekanntschaft mit de Beauvoir hat ihr geholfen, ins Leben zurückzufinden. Durch diese hat sie sich neu erfinden können, sich schätzen gelernt. De Beauvoir war clever genug, ihre Liebe nicht zu erwidern. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Es war eine Liebe, die sich aufs Idol ausrichtete, und so musste sie auch bleiben: ein Ideal, unwirklich. Aber wie mir versichert wurde, war auch de Beauvoir diese Begegnung ungemein wichtig.

STANDARD: Was Ihre Karriere anbelangt, ist vor allem die Begegnung mit Regisseur Arnaud Desplechin entscheidend. Können Sie ein wenig über die Besonderheit dieser langen Zusammenarbeit erzählen?

Devos: Es hat gar nicht so viel mit der Person zu tun. Ich traue mich eigentlich gar nicht, darüber zu reden. Wir haben gemeinsam angefangen, es gab dieses geteilte, stille Verständnis füreinander. Man kann es gar nicht erklären. Es funktioniert einfach sehr gut. Es ist eine dieser Liebesgeschichten rund um Film. Ich kann nur sagen, dass ich auf diese Arbeiten besonders stolz bin. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 26.6.2014)