Niederl-Garber reist und analysiert Reiseberichte.

Foto: Wolfgang Krisai

Von ihren vielen Reisen und den insgesamt zehn Auslandsjahren hat Claudia Niederl-Garber eine Menge mitgebracht: zum Beispiel einen differenzierten Blick auf die ukrainische Politik, die sie im Zuge der Orangen Revolution als Demonstrantin hautnah miterlebte, während sie als ÖAD-Lektorin in Kiew tätig war. Dazu kommt ihr (österreichischer) Gatte, den sie an der dortigen Botschaft kennenlernte, und - als bleibende Erinnerung an ein halbes Jahr in Armenien - eine große Leidenschaft für die Kunstgeschichte dieses kleinen Landes am Kaukasus.

Ihre Doktorarbeit hat die studierte Germanistin, Slawistin und Kunsthistorikerin deshalb den armenischen Kulturdenkmälern in den Aufzeichnungen europäischer Reisender des 19. Jahrhunderts gewidmet. "Obwohl Armenien gar nicht so weit von Europa entfernt ist, weiß man hier kaum über das große kulturelle Erbe dieses Landes Bescheid, das im Lauf der Jahrhunderte immer wieder eng mit Europa verwoben war", wundert sich Niederl-Garber.

Die Saat, die auf einer abenteuerlichen Fahrt durch den ersten christlichen Staat der Welt vor mehr als einem Jahrzehnt ausgestreut wurde, ist nun - nach diversen Studienabschlüssen und Lehrtätigkeiten, etlichen Feldforschungsfahrten und der Geburt des kleinen Maxim - bestens aufgegangen: Niederl-Garbers Dissertation "Wie Europa Armenien 'entdeckte'" wurde mit dem Förderpreis der Maria-Schaumayer-Stiftung ausgezeichnet und liegt seit kurzem auch als Buch vor.

Die anfängliche Sorge, zu wenig verwertbares Quellenmaterial zu finden, stellte sich bald als unbegründet heraus: "Ich musste im Gegenteil etliche Autoren weglassen, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen", sagt die Kunsthistorikerin. "Denn Mitte des 19. Jahrhunderts gab es geradezu einen Expeditionsboom nach Armenien."

Zu dieser Zeit entstanden beispielsweise auch die Reisebriefe des deutschen Mineralogen und Geologen Hermann Abich, der insgesamt fast dreißig Jahre in der Kaukasusregion verbrachte. "Die vielen Briefe, die der leidenschaftliche Forschungsreisende an seine Familie schickte, enthalten auch Schilderungen historischer Bauten, die wegen ihrer abgeschiedenen Lage erst durch Abich wiederentdeckt wurden", berichtet die Kunsthistorikerin. "Von der Ruinenstadt Ani etwa war er so fasziniert, dass er trotz der beträchtlichen Gefahr von Überfällen vier Tage dort blieb, um Zeichnungen der Bauwerke anzufertigen und Inschriften zu kopieren."

Insgesamt 16 Armenien-Reisende lässt Niederl-Garber in ihrem Buch zu Wort kommen: von Edelsteinhändlern und Künstlern über Sprach- und Naturwissenschafter bis zu Diplomaten sind darunter so ziemlich alle Professionen vertreten, die zu jener Zeit exotische Reisen rechtfertigten. Ihren Darstellungen kommt eine umso größere Bedeutung zu, als mittlerweile viele der Bauwerke nicht mehr existieren.

Aufbauend auf diese Arbeit hat sich die 36-jährige Steirerin auch die Zeugnisse armenischer Kunst in Galizien, Podolien und auf der Krim erforscht, wodurch die Fäden zwischen der Ukraine und Armenien verknüpft wurden. In einem Vortrag am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München behandelte sie kürzlich das vorerst letzte Sammlerstück: eine architekturhistorische Studie über einen Soldatenfriedhof - diesmal aus ihrer Zeit in Lettland. (Doris Griesser, DER STANDARD, 25.6.2014)