Zebrafische bekommen Tumore, die jenen von Menschen sehr ähnlich sind. Deshalb lösen Forscher bei ihnen Krebs aus und untersuchen an ihnen die Antitumorwirkung neuer Substanzen.

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Thomas Look: "Nach unserer Entdeckung gingen wir zu Pharmafirmen, aber sie lehnten ab, weil ihnen dieser Tumortypus zu selten war."

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STANDARD: Auf die Frage, was ihn zu außergewöhnlichen Leistungen in der Wissenschaft motiviert hat, antwortete Genetikpionier Craig Venter einmal: "Ich wollte eine größere Yacht." Wie ist das bei Ihnen?

Look: Eine größere Yacht! Ja, davon habe ich gehört. Das Boot von Craig Venter ist wirklich riesig. Man muss zu Venter allerdings sagen: Er hat Firmen gegründet und eine Menge Geld damit gemacht. Ich bin bloß ein armer Krebsforscher. Was mich motiviert, ist der Krebs, nichts anderes.

STANDARD: Sie besitzen auch ein Boot, oder?

Look: Ja, ein kleines Fischerboot namens Zebrafisch. Ich bin kein Segler, aber das Angeln mag ich. Wenn ich in meinem Boot sitze, fallen mir gute Ideen ein, unter anderem weil ich immer mit Arbeitskollegen fischen gehe: Wir treffen uns um fünf Uhr morgens, halten die Angel ins Wasser und reden über die Wissenschaft. Im Grunde beginnt unser Arbeitstag bereits vor Sonnenaufgang im Fischerboot.

STANDARD: Was war Ihre beste wissenschaftliche Idee?

Look: Ich kann Ihnen sagen, was meine wichtigste Entdeckung war: ein Molekül namens ALK, die anaplastische Lymphomkinase. Ich habe es vor genau 20 Jahren mit Steve Morris, meinem damaligen Postdoc, entdeckt. So etwas ist ja heutzutage gar nicht mehr möglich, weil bereits sämtliche Gene des menschlichen Erbguts sequenziert wurden.

STANDARD: Was tut dieses Molekül, und warum ist es wichtig?

Look: Was das Molekül im gesunden Körper tut, ist bis heute nicht klar. Wir wissen, dass es sich um einen Rezeptor handelt, der vermutlich durch ein Hormon geregelt wird. ALK gehört zu einer wichtigen Familie von Rezeptoren, die bei der Zellteilung und Entwicklung eine wichtige Rolle spielen. Erstaunlicherweise sind Mäuse, denen ALK aus dem Erbgut entfernt wurde, gesund.

STANDARD: ALK hat allerdings auch etwas mit Krebs zu tun.

Look: So ist es, die Rolle von ALK als Auslöser von Krebs ist eine ganz andere Geschichte. 1994 wussten wir bereits, dass ein spezieller Tumor, ein Lymphom mit extrem großen Zellen, eine besondere Veränderung des Erbguts aufweist, bei der die Chromosomen 2 und 5 aufbrechen und miteinander fusionieren. ALK ist davon betroffen: Es bricht gewissermaßen entzwei und bildet eine Chimäre mit einem anderen Protein. Dieses Fusionsprotein wird überaktiv, weil es seine Kontrollregion verloren hat. Das löst das Wachstum des Tumors aus. Nach unserer Entdeckung gingen wir zu Pharmafirmen, um sie zur Entwicklung von Medikamenten zu bewegen, aber sie lehnten ab, weil ihnen dieser Tumortypus zu selten war.

STANDARD: Wie lange verhielt sich die Pharmaindustrie zurückhaltend?

Look: Pfizer entwickelte Jahre später einen Hemmstoff gegen ein anderes, verwandtes Molekül namens MET. Es stellte sich heraus, dass dieses Medikament auch ALK gut hemmen konnte - ein Glücksfall für die Patienten mit ALK-Mutationen. Später wurde klar, dass noch viel mehr Patienten davon betroffen sind: ALK ist auch an der Entstehung von Lungenkrebs, Gehirntumoren und anderen aggressiven Krebsarten beteiligt. Nun sind alle Pharmafirmen daran interessiert.

STANDARD: Sie arbeiten im Labor mit Zebrafischen, die normalerweise in der Entwicklungsbiologie verwendet werden. Was macht sie zu guten Modellorganismen für die Krebsforschung?

Look: Zebrafische sind Wirbeltiere, sie bekommen Tumore, die jenen von Menschen sehr ähnlich sind. Wir lösen bei ihnen das Tumorwachstum mit den gleichen Genen aus, die auch bei uns zum Krebs führen. Davon abgesehen, sind Zebrafische sehr einfach zu züchten, man kann ihnen in der Petrischale beim Wachsen zusehen: Da die Fische durchsichtig sind, sieht man auch die vom Krebs befallenen Organe. Auf diese Weise können wir im großen Stil Screens durchführen, um mögliche Antitumorwirkungen von neuen Substanzen zu finden.

STANDARD: Fortschritte in der sogenannten Immuntherapie zeigen: Man kann das Immunsystem gewissermaßen "scharf" gegen Tumore machen, sodass der Körper Krebszellen mit vermehrtem Einsatz bekämpft. Ist es nicht überraschend, dass wir diese Fähigkeit nicht durch die natürliche Selektion erhalten haben?

Look: Wir besitzen diese Fähigkeit - hätten wir sie nicht, würden wir vermutlich täglich an Krebs erkranken. Tumorzellen mutieren zufällig und manche dieser Mutationen versetzen sie in die Lage, den Kontrollmechanismen des Körpers zu entkommen.

STANDARD: Aber das System ist nicht perfekt. Eine lückenlose Krebsabwehr scheinen Nacktmulle zu besitzen: Sie erkranken offenbar nicht an Krebs.

Look: Über Nacktmulle weiß ich leider nichts. Das Problem im menschlichen Körper ist: Wenn der Tumor entdeckt wird, sind meist bereits viele Milliarden Tumorzellen vorhanden. Das Reservoir von Krebszellen ist in der Regel so groß, dass fast immer ein paar überlebende Zellen übrig bleiben. Das ist der Grund, warum viele Tumore nach der Therapie wieder zu wachsen beginnen. Dieses Problem könnte die Immuntherapie zumindest teilweise lösen, und zwar indem man T-Zellen trainiert, um Tumorzellen zu töten. Die T-Zellen vermehren sich und wirken daher völlig anders als ein Medikament.

STANDARD: Sie forschen am Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Was ist das Besondere an der "Boston Area"?

Look: Boston zeichnet sich durch eine hohe Konzentration biomedizinischer Expertise aus. Es gibt die Harvard Medical School, die Tufts University Medical School, einige Spitäler. In dieser Umgebung bleibt man immer in Kontakt mit den aktuellen Entwicklungen. Wenn ich über die Straße gehe, kann ich sicher sein, dass ich einen Wissenschafter treffe, der mir etwas Aufregendes erzählt. Und wenn ich selbst ein wissenschaftliches Problem habe, kann ich sicher sein, das es jemanden gibt, der mir bei der Lösung helfen kann. In Boston herrscht eine anregende, kollaborative Atmosphäre. Das gilt übrigens auch für Wien: Hier gibt es eine Reihe ausgezeichneter biomedizinischer Institute.

STANDARD: Was raten Sie jüngeren Kollegen, um sich in ihrem Fach einen Namen zu machen?

Look: Wir Grundlagenforscher produzieren nichts, was man sehen kann, keine Autos und keine Waschmaschinen - alles, was wir herstellen, ist Erkenntnis: intellektuelle und konzeptuelle Fortschritte, die in Journalen veröffentlicht werden. Im Grunde ist es simpel: Es kommt nur auf die Publikationen an. (Robert Czepel, DER STANDARD, 25.6.2014)