Quelle: APA, BBT SE

Im STANDARD regelmäßig geführte Debatten über Infrastruktur-Investitionen der ÖBB drehen sich im Kern um deren volkswirtschaftlichen Nutzen. Ein Vertreter des Verkehrsministeriums (BMVIT) und Aufsichtsrat der Brenner-Basistunnel-Gesellschaft (BBT SE) hat "detaillierte Kosten-Nutzen-Betrachtungen" im Vorfeld von Entscheidungen sowie eine "enge Abstimmung" mit der EU als Rechtfertigung für das Projekt angeführt. Einer Betrachtung der Verwaltungspraxis in Brüssel, Wien und andernorts hält diese Äußerung kaum stand. Das betrifft nicht nur Schieneninfrastrukturen, wird aber am Brenner-Basistunnel exemplarisch dargestellt.

Das Versagen beginnt mit mangelnder Transparenz: Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen wurden im UVP-Verfahren des BBT 2008/09 geheim gehalten, Anfragen von Bürgerinitiativen und Bundesräten beim BMVIT nur rudimentär beantwortet. Erst mit Hilfe der Bewegung Beppe Grillos erreichten Kritiker südlich des Brenners Ende 2013 die Veröffentlichung im Volltext.

Ernst&Young berechneten 2004 bei Investitionskosten von 3,2 Milliarden Euro einen marginal höheren volkswirtschaftlichen Nutzen für den Zeitraum 2015-2065 und damit ein Verhältnis von 1:1. Also aus Sicht der Steuerzahler gerade noch gutgegangen?

Leider nein. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen seit drei Jahrzehnten weltweit übereinstimmend, dass bei der Planung von Großprojekten der Nutzen in aller Regel systematisch überbewertet, die Risiken hingegen systematisch unterbewertet werden -Kostensteigerungen bei öffentlichen Investitionen sind Alltag, die Ursachen mittlerweile gut belegt.

Auf Basis der neueren offiziellen BBT-Planungsdaten von 2007 kamen die renommierten italienischen Verkehrsexperten des Politecnico di Milano in einer unabhängigen Analyse 2012 für den italienischen Projektteil nur noch zu einem erschütternden Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:0,6. Die Unterschiede zu Ernst & Young dürften vor allem darauf zurückzuführen sein, dass Letztere von einer viel höheren Besiedelungsdichte im Projektgebiet als die Mailänder ausgegangen waren.

Kostenexplosion

In der Realität sieht es noch viel schlechter aus. Allein die Kostenexplosion seit 2007 reicht schon, das Ergebnis der genannten Studien weiter zum Negativen zu verschieben. Zum Glück für die Bevölkerung im Inntal erweisen sich die Verkehrsprognosen für den Güter- und den Personenverkehr zudem als viel zu optimistisch. Letzterer liegt auf der Schiene über den Brenner derzeit nur bei einem Drittel des Prognostizierten, könnte den BBT aber ohnehin niemals rechtfertigen. Beim Güterverkehr sind die Steigerungsraten der Vergangenheit nicht mehr zu erwarten und es ist höchst unwahrscheinlich, dass er je in nennenswertem Ausmaß auf der Schiene abgewickelt werden wird.

Der Wert von volkswirtschaftlichen Analysen liegt allerdings nicht in einer Zahl, deren Ermittlung erheblichem Spielraum unterliegt, sondern darin, dass über eine öffentliche Investition transparente Debatten möglich werden. Schließlich ist die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene kein Selbstzweck, sondern man verspricht den Bürgern positive Umwelteffekte. Wie sieht es aber damit aus?

Die Public-Health-Studie zum BBT war bis vor ein paar Wochen unter Verschluss und enthält keine monetäre Bewertung der geringen Lärmentlastung, die Mailänder kamen auf einen Nutzen 2025-55 von bestenfalls 200 Millionen Euro. Bei Luftschadstoffen nahm niemand eine nennenswerte Verbesserung an, zuletzt hat eine Schweizer Studie dies erneut bestätigt. Hochgeschwindigkeits-Bahntunnel reduzieren nicht einmal Energieverbrauch und CO2-Ausstoß gegenüber der Straße in der Gesamtbilanz entscheidend.

Im Ergebnis lässt sich der BBT weder verkehrs- noch umweltpolitisch begründen. Grob vernachlässigt wurde vom Ministerium im Genehmigungsverfahren allerdings die Alternativenprüfung. Was könnten wir durch ein striktes Nachtfahrverbot, Lärmschutzwände, lärmarmes Rollmaterial auf der Schiene und Reduktion des fossilen Brennstoffverbrauchs für Heizungen mit acht bis 24 Milliarden Euro im Vergleich erreichen?

Die Ignoranz der Behörden gegenüber volkswirtschaftlichen Effekten ihrer (Fehl-)Investitionen bleibt für sie bisher folgenlos, solange sie damit die Wirtschaft nicht an die Wand fahren; Griechenland, Italien, Slowenien und Spanien sollten aber Warnung sein.

Vorschläge für Verbesserungen gibt es. Notwendig ist ein Umdenken der gesamten öffentlichen Verwaltung, Vorreiter sind hier nordeuropäische Staaten. Besonders wirkungsvoll wären völlige Transparenz und ein Klagerecht für einen "Bund der Steuerzahler" sowie den Rechnungshof, wenn die öffentliche Verwaltung das Verfassungsgebot einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Gebarung verletzt.

Da der BBT in der UVP abzuwägen ist gegenüber unberührten Naturräumen, kann ein volkswirtschaftlich sinnloser Tunnel niemals im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und eine Genehmigung hätte versagt werden müssen. Die Aarhus-Konvention definiert wirtschaftliche Analysen zu Projekten aus diesem Grund als Umweltinformationen.

Hierzulande sind wir aber nicht so weit. In der UVP werden zwar Umweltauswirkungen öffentlich dargestellt, aber nie die volkswirtschaftlichen. Ein Stehsatz in Genehmigungsbescheiden sowie in Urteilen behauptet, öffentliche Interessen seien "vielfach unwäg- und unmessbar". Diese Zauberformel räumt der Exekutive fast unbegrenzten Ermessensspielraum ein, unterwirft Sachentscheidungen der Politwillkür, stellt Freibriefe zur Steuergeldverschwendung aus. Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen sind aus heutiger Sicht das Mittel der Wahl, die öffentlichen Interessen wäg- und messbar(er) zu machen. (Lothar Gamper, DER STANDARD, 25.6.2014)