Martin Kukowski, Rudolf Boch: "Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg", 518 Seiten, € 75, Franz Steiner Verlag 2014.

Coverfoto: Franz Steiner Verlag

Chemnitz - 1932 wurde die Chemnitzer Auto Union gegründet: Aus dem Zusammenschluss der vier Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer entstand der nach Opel zweitgrößte deutsche Automobilkonzern, bekannt für seine Luxuskarossen.

Doch hat die Medaille auch eine Kehrseite, wie die Technische Universität Chemnitz berichtet. Der expandierende Konzern produzierte im Laufe des Zweiten Weltkriegs von Infanteriemunition bis hin zu Panzer- und Flugzeugmotoren für die Rüstungsindustrie – und seine Werkhallen füllten sich mit Zwangsarbeitern und schließlich sogar KZ-Häftlingen.

In sieben von der SS für Auto Union eingerichteten Konzentrationsaußenlagern wurden Anfang 1945 mehr als 3.700 KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Weitere 16.500 Zwangsarbeiter, die nicht in Konzentrationslagern interniert waren, arbeiteten ebenfalls für Auto Union in Chemnitz und Zwickau: So lautet eines der Ergebnisse der in den vergangen vier Jahren erarbeiteten Studie der Historiker Rudolf Boch von der TU Chemnitz und Martin Kukowski von der Audi AG.

Vom Zivilfahrzeugbau zur Rüstungsindustrie

"Zum Aufschwung der Auto Union trug unzweifelhaft auch die Aufrüstung Deutschlands nach der NS-Machtergreifung bei", so Boch. Die Auswertung der Unterlagen im Firmenarchiv belegt, dass die Auto Union in ihren Werken Siegmar und Horch seit 1934 in eigens eingerichteten Abteilungen Wehrmachtskraftfahrzeuge baute. Ihr Zschopauer DKW-Werk steuerte zum Rüstungsgeschäft noch Motorräder und Einbaumotoren bei.

Der Rüstungsanteil am Jahresumsatz belief sich bis zum Zweiten Weltkrieg zumeist noch deutlich unter zwanzig Prozent. Ab dem Spätfrühjahr 1940 wandte sich die Auto Union jedoch verstärkt der Kriegsrüstung zu und mobilisierte unter weitgehender Einstellung des Zivilfahrzeugbaus die eigenen Werke. Ende 1940 übernahm sie auch den Flugmotorenbauer MMW, wodurch sich ihre Rüstungsumsätze nahezu verdoppelten. Einschließlich ihrer beiden Tochterfirmen DKK und MMW erzielte sie 1941 schon 70 Prozent ihres Umsatzes im Rüstungsgeschäft.

Von Freien zu Zwangsarbeitern und schließlich Sklaven

Parallel dazu stellte das Unternehmen von einer herkömmlichen Belegschaft sukzessive auf den Einsatz von Zwangsarbeitern um. "Wenngleich dem bei den Werken anfänglich mit Skepsis begegnet wurde, griff auch die Auto Union deshalb ab Sommer 1942 massiert auf eine durch das NS-Regime neu eröffnete Quelle für die Rekrutierung von Arbeitskräften zurück: den Einsatz ausländischer Zivil- und Zwangsarbeiter“, sagt Kukowski. Von März 1942 bis September 1944 nahm die Belegschaft um insgesamt mehr als vierzig Prozent zu. Im ersten Quartal 1943 erreichte der Anteil ausländischer Arbeitskräfte konzernweit gut 31 Prozent, erhöhte sich dann aber bis Juni 1944 nur noch geringfügig auf knapp 35 Prozent.

Die freiwillige und zwangsweise Rekrutierung von Arbeitskräften im Inland und dem vom Deutschen Reich beherrschten Gebieten Europas vermochte mit den Anforderungen der Auto Union im Kriegsjahr 1944 aber längst nicht mehr Schritt zu halten. "Nur der Rückgriff auf das in den NS-Konzentrationslagern vorhandene Menschenpotenzial erlaubte es ihr nun abermals, wie bereits der forcierte Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter zwei Jahre zuvor, die drohende Kapazitätsgrenze zu überschreiten“, schätzt Boch ein und fügt hinzu: "Sie wurde dadurch in die Lage versetzt, im besten Einvernehmen mit dem NS-Regime und den Kriegswirtschaftsorganen den eingeschlagenen Kurs unbedingter betrieblicher Expansion in Verfolgung ehrgeiziger Rüstungsprogramme fortzusetzen und – aus humanitärer Sicht – mit dem Masseneinsatz entrechteter Sklavenarbeiter auf die Spitze zu treiben.“

Expansion auf dem Rücken von Sklavenarbeitern

Auf dem Höhepunkt im Februar/März 1945 beschäftigte die Auto Union in ihren Werken nach den vorliegenden Stichtagserhebungen bereits rund 3.700 KZ-Häftlinge. Das entsprach einem Anteil von 7,4 Prozent an ihrer zu dieser Zeit fast 50.000-köpfigen Belegschaft – und nur das naheliegende Kriegsende verhinderte einen noch umfänglicheren KZ-Häftlinge-Einsatz.

"Mit ihrem KZ-Häftlinge-Anteil bewegte sich die Auto Union aber durchaus noch im branchenüblichen Rahmen. Auch der Gesamtumfang des Zwangsarbeiterkomplexes bei der Auto Union, der sich durch die Übernahmen tschechischer Firmen und den Einsatz rückverlagerter Justizgefangener im letzten Kriegsjahr noch auf bis zu 45 Prozent erhöhte, blieb im Rahmen der deutschen Kraftfahrzeugbranche“, so die Einschätzung der Historiker.

Die Bilanz

Wie ihre Konkurrenten habe die Auto Union AG aus Gewinninteresse, nationalistischer Verblendung und vor allem im Hinblick auf die Positionierung in einer europäisch-großdeutschen Nachkriegswirtschaft zu jeder Zeit des Krieges die ihr durch das NS-Regime dargebotenen Expansionschancen genutzt.

Die moralische Verantwortung des Auto-Union-Managements sehen die Autoren der Studie als eindeutig belegt an: Etwa was die katastrophalen hygienischen Zustände in Leitmeritz, einem Außenlager des KZ Flossenbürg, betrifft. 18.000 KZ-Häftlinge wurden dort bei der Untertage-Verlagerung des Panzermotorenwerkes eingesetzt, von denen 4.500 den Tod fanden.

Mit der nun im Buchhandel erhältlichen Studie hat sich Audi nach Volkswagen, Daimler und BMW als letzter deutscher Automobilhersteller seiner NS-Vergangenheit gestellt. "Die Firma Opel hat übrigens keine KZ-Häftlinge beschäftigt“, sagt Boch. (red, derStandard.at, 6. 7. 2014)