Wenn man wissen will, mit welchen Bezeichnungen Zeitgeist, Feuilleton und vielleicht sogar man selbst bestimmte Erscheinungsformen männlicher Identität belegen, dann liest man am besten beim Journalisten Mark Simpson nach, der Begriffe wie metrosexuell und retrosexuell geprägt hat. Nun ist es für ihn Zeit für eine neue Bezeichnung: Zwanzig Jahre nach metrosexuell sind Männer jetzt spornosexuell.

Zur Erinnerung: Nachdem der heterosexuelle Mann lange Zeit als der schlechteste Kunde überhaupt galt (erst kauft Mutti für ihn ein, dann die Freundin/Frau), wurden von Simpson jene urbanen Männer als Metrosexuelle etikettiert, die sich die Eitelkeit leisten wollten und konnten, ihren Körper zu verschönern.

Nackt gut aussehen

Metrosexuelle Männer gingen ins Fitnessstudio und betrieben Körperpflege aus diesem einen und einzigen Grund, den der Schauspieler Kevin Spacey in "American Beauty" so treffend auf den Punkt gebracht hat ("Ich will nackt gut aussehen!"). Wegen eines ähnlich gelagerten Grundes ("Ich will angezogen gut aussehen!") interessierten sie sich für Klamotten, Schuhe und Accessoires.

Galt der Terminus "Herren-Accessoire" zuvor noch als waschechtes Oxymoron, als unvereinbar, ließen sich Männer plötzlich zu Produkten wie Gürteln, Taschen und Schmuck beraten - und begutachteten sich anschließend im Spiegel. Ein Gegenstand, dessen Sinn sich ihnen bis dahin allenfalls schemenhaft erschlossen hatte. So weit das Klischee.

Der Körper als ultimatives Herrenaccessoire

"Sporno" treibt das Ganze weiter auf die Spitze. Während der Metrosexuelle sich glatt und modisch-akzentuiert in Szene setzt wie David Beckham und der Retrosexuelle wölfisch daherkommt wie Hugh Jackman als Wolverine, verbinden Mark Simpson zufolge gegenwärtig immer mehr Männer die ästhetischen Standards von Sport und Pornografie zum - genau: Spornosexuellen.

Der "Spornosexuelle" will demnach nicht nur nackt gut aussehen, er muss es. Wenn er es dann tut (mit deutlich ausgeprägterer Muskulatur als ein Metrosexueller), dann kann ihn scheinbar nichts davon abhalten, seinen Oberkörper zu entblößen. Denn dieser Körper ist ihm zum ultimativen Herren-Accessoire geworden. Der Spornosexuelle ist nicht länger auf der Suche nach Kleidung, die seine Persönlichkeit am besten repräsentiert - er sucht den besten Moment, den Körper zu zeigen, der seine Persönlichkeit repräsentiert. Weil er für diesen Körper begehrt werden will.

Falsche Voraussetzungen

Den typischen Spornosexuellen zu erklären scheint also ziemlich einfach. Man nimmt ein paar Bilder vom trikotbefreiten Cristiano Ronaldo oder von Mario Balotelli und sinniert über narzisstische, übersexualisierte Männerpersönlichkeiten. Die Wirklichkeit ist allerdings wie so oft viel komplizierter. Simpsons Spornosexueller ist nämlich eine Illusion. Sein schickes Kofferwort aus Sport und Pornografie basiert auf sehr verengten, um nicht zu sagen falschen Voraussetzungen. Einer der momentan erfolgreichsten männlichen Pornodarsteller der Welt - wenn nicht überhaupt der erfolgreichste - nennt sich James Deen, wiegt 68 kg und sieht aus wie der nette, schmächtige junge Mann von nebenan.

Er taugt überhaupt nicht als Schablone für das, was Simpson vorschwebt. Auch der Sport scheint dafür nicht geeignet, wenn man sich vor Augen führt, dass für den Spornosexuellen vor allem Fußballidole Pate gestanden sind. Andere Sportarten (wie Schwimmen, Radfahren, Langstreckenlauf) formen Körper, die nicht in gleicher Weise den bekannten "Schaut mich an, ich hab ein Tor geschossen“-Sehgewohnheiten entsprechen.

Auf den Bildern, die Spornosexuelle zeigen sollen, sind Männer in Badehosen am Strand oder bei einer Sportart zu sehen sind, für die das Tauschen von Trikots schon 1931 belegt ist. Es kann also kaum davon die Rede sein, dass diese Männer bei "jeder sich bietenden Gelegenheit" ihre (Semi-)Nacktheit zur Schau stellen.

Aussehen statt Darstellen

Viel interessanter als die neue Bezeichnung, die sich Mark Simpson ausgedacht hat, ist die Tatsache, dass er sich überhaupt eine ausgedacht hat. Denn seine Etikettierungen machen einen fundamentalen Wandel sichtbar: Während Männer sich jahrhundertelang nur die Frage danach gefallen lassen mussten, was sie eigentlich darstellen, will man seit einigen Jahrzehnten immer dringlicher von ihnen wissen, wie sie überhaupt aussehen.

Neu ist diese Frage allerdings nicht: Wenn Mann wirklich wissen wollte, wie zudringlich, ja übergriffig einem diese Frage gestellt werden kann, bräuchte Mann nur eine Frauenzeitschrift aufzuschlagen. Auch, wenn im Zuge der Debatte um Spornosexualität harsche Formulierungen ("fürs Leben gezeichnet", "man könnte Albträume bekommen" und "wir sind verloren") verwendet werden, ist das nichts gegen das, was in diesen Zeitschriften steht. (Nils Pickert, dieStandard.at, 24.06.2014)