Ein Blinder testet das neue Navigationshilfesystem.

Foto: Hochschule Furtwangen

Wie kann man blinden oder sehbehinderten Menschen helfen, sich in einer unbekannten Umgebung zurechtzufinden? Dies ist eine Frage, mit der sich die Hochschule Furtwangen (Baden-Württemberg) beschäftigt. In ihrem Projekt "Intelligente, vibrotaktil induzierte Wahrnehmung", kurz: iView, entwickel die Forscher ein Informationssystem, das den Berührungssinn anspricht und dem Träger des Systems über Vibrationssignale Umgebungsinformationen übermittelt.

Besserer Tastsinn

Die Informationsübertragung über einen Berührungsreiz eignet sich besonders für Blinde und Sehbehinderte, da bei den Betroffenen der Berührungs- oder Tastsinn bestens geschult ist und keine akustischen Signale das Gehör als wichtige Informationsquelle bei der Navigation stören. Zunächst tastet ein 3D-Laserscanner in Echtzeit die Umgebung ab und erfasst mögliche Hindernisse. Diese 3D-Daten bilden die Grundlage für eine Erkennung potenzieller Gefahren und die Priorisierung von Informationen, die über Vibrationssignale an den Träger des Systems übermittelt werden.

Die Vibrationsstärke, die Vibrationszeit und die Position der Vibrationssignalgeber am Körper geben Informationen über Richtung und Abstand zum Hindernis. "Die ersten Tests waren bereits erfolgsversprechend", sagt Knut Möller, Projektleiter des Forschungsvorhabens. Natürlich müsse sich der Träger des Systems erst an die neue Technik gewöhnen und die Signale richtig zu interpretieren lernen. Aber nach einer kurzen Lernphase erzielten alle Versuchspersonen bereits sehr viel bessere Ergebnisse.

Mobiler Informationsgeber

Ein weiteres Forscherteam beschäftigt sich mit der Entwicklung eines taktilen Informationsgebers in Miniaturform. Sind die Vibrationsmotoren am Gürtel noch deutlich sichtbar, wird das mikrosystemtechnisch hergestellte, miniaturisierte System nur wenige Millimeter groß sein. Es kann dezent am Körper getragen oder einfach in das Lebensumfeld integriert werden.

Bei der Entwicklung werden Verfahren der Oberflächenmikromechanik und der Fluidik kombiniert. "Im Vergleich zum Gürtel wird das Miniatur-System einen sehr viel geringeren Energieverbrauch haben. Gerade bei mobilen Anwendungen ist dies ein entscheidender Vorteil", sagt Ulrich Mescheder, Leiter des Technologielabors für Mikro- und Nanosysteme, in dem die Arbeiten durchgeführt werden.

Gut aufgenommen

In den kommenden sechs Monaten zielen die Forschungsarbeiten auf die Entwicklung eines tastbaren Displays, welches zusätzliche Informationen für Blinde in Form einer Umgebungskarte enthält, die durch Abtasten erfasst werden können. In Frankfurt wurden die Entwicklungen auf der deutschlandweit größten Fachmesse für Blinden- und Sehbehinderten-Hilfsmittel vorgestellt und vom Messepublikum sehr gut aufgenommen.

"Mit unserem System möchten wir den Blindenstock nicht ersetzen. Vielmehr ist der taktile Informationsgeber als ergänzendes Hilfsmittel gedacht, das Kollisionen mit Hindernissen verhindern soll, indem frühzeitig entsprechende Informationen vermittelt werden", sind sich beide Professoren einig. (red, derStandard.at, 23.6.2014)