Ein Viertel der Studierenden in Österreich kommt aus dem Ausland. Während EU-Bürger in vielen Bereichen privilegierten Status haben, haben Studierende aus einem "Drittstaat" - wie Azad und Idil - mit besonderen Problemen zu kämpfen.

Foto: Matthias Cremer

Wien - Zwei Jahre lang hatte Azad* im Internet nach einem neuen, guten Leben gegoogelt. Allein. Still und heimlich. "Zwei Jahre, in denen ich fast jeden Tag geweint habe", erzählt der Student heute.

Azad erzählt es in Wien, wo er seit August 2010 lebt und an der Uni Wien Biologie inskribiert hat. Bis es so weit war, war es ein langer und komplizierter Weg. Der damals 17-Jährige lebte in einer Stadt in Mittelanatolien und wusste für sich, er muss weg. Nicht nur, "weil ich damals angefangen habe, mich für die kurdische Bewegung zu interessieren und kurdische Zeitungen verteilt habe". Azad bekam "politische Probleme. Ich hatte Angst vor der Polizei", sagt er.

Sein Leben, nicht ihres

Er wollte aber auch aus sehr persönlichen Gründen weg, weil er in seiner sehr religiösen und konservativen Familie auch unter gesellschaftlichen Druck geraten war, "weil ich schwul bin", erzählt der 23-Jährige. Seine Eltern hatten für ihn schon ein Leben parat: "Ich hätte heiraten müssen und Bäcker werden wie mein Vater."

Ein Leben, das Azad aber nicht leben wollte. "Ich habe mit 18 entschieden wegzugehen." Er vertraute sich seiner Mutter an. Nach Österreich wollte er.

Leichter gesagt als getan: teure, beglaubigte Übersetzungen der Dokumente, für die er in Antalya im Hotel Geld verdiente, ein Studienplatznachweis im Heimatland für exakt das Studium, das er in Österreich inskribieren wollte - er gilt nur für dieses Fach und kein anderes -, Uni-Zulassung, Aufenthaltsbewilligung (die lange Verfahrensdauer von bis zu sechs Monaten erzwingt oft das Verschieben der Studienpläne um ein Semester) plus ein Mietvertrag in Wien - alles von der Türkei aus.

Abgezockt ankommen

Aber wer gibt schon einem Unbekannten, den er vielleicht höchstens via Skype "kennt", eine Unterkunft? Aus dieser Lücke haben vor allem in der Türkei spezielle "Agenturen" ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt. Sie übernehmen die notwendigen Prozeduren und verschaffen eine Wohnmöglichkeit - oder auch nicht. Viele türkische Studierende wurden auf diese Weise schon abgezockt und um tausende Euro erleichtert. Sie standen in Wien vor einem Zimmer, das vierfach belegt oder gar nicht existent war.

Ein Grund, warum Rukiye Eraslan vom ausländerpolitischen Referat der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) Erleichterungen für Studierende aus Drittstaaten (siehe Wissen unten) fordert: "Der Antrag auf Aufenthaltsbewilligung soll für Studierende auch im Inland ermöglicht werden. Dann können sie sich hier selbst eine Unterkunft suchen."

Dies ist die Geschichte von Azad und Idil*, die ebenfalls bereit war, sich öffentlich zu äußern, aber die Probleme dieser zwei Studierenden sind exemplarisch und könnten auch von Fayola aus Nigeria oder Ahmad aus dem Iran erzählt werden. Die meisten Drittstaatsstudierenden hierzulande sind aus der Türkei (3414), Bosnien und Herzegowina (2504), Serbien (1678), dem Iran (1036) und der Russischen Föderation (1005).

Das aus der Ferne zu organisierende Wohnproblem hatte Idil nicht zu lösen, denn die 21-Jährige zog mit 14 mit ihrer Familie von Istanbul nach Wien, ohne ein Wort Deutsch zu können - vier Jahre später maturierte sie, und jetzt studiert sie Judaistik und Kunstgeschichte an der Uni Wien.

Eltern mit Euros

Für ihr Studentenvisum muss sie jährlich einen Studienerfolg nachweisen. Und ein weiteres enormes Problem für internationale Studierende aus Drittstaaten: Sie müssen (Stand 2014) bis zum 24. Lebensjahr jährlich im Vorhinein nachweisen, dass sie "Existenzmittel" in der Höhe von 5.684,40 Euro griffbereit haben. Idil, deren Vater in einer Bank arbeitet, hat es hier um einiges leichter: "Mein Vater verdient Euros." Aber: "Ich bin von meinen Eltern abhängig, weil ich keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt habe, was es schwer macht, komplett auf eigenen Füßen zu stehen." Der Vater muss jedes Jahr den Betrag für seine Tochter nachweisen, sonst fliegt sie raus aus Österreich.

Gerade wartet Idil auf die ebenfalls jährlich zu verlängernde Aufenthaltsbewilligung: "Es ist belastend. Es ist die Bürokratie, die das Leben erschwert. Ich mag Österreich sehr, aber diese mangelhafte Empathie spüren wir jeden Tag - obwohl ich hier maturiert habe und mein Vater seit Jahren hier arbeitet und Steuern zahlt."

Azad musste den Unterhalt für ein Jahr vor seiner Einreise belegen. Nachdem der vom Vater konsultierte Imam geraten hatte, den Sohn ziehen zu lassen ("Er kann lernen und wird als erfolgreicher Mann zurückkommen" ), überwies er die damals geforderten 4400 Euro auf ein Konto in Wien.

Gleiches Arbeitsrecht

Bei diesen Beträgen ist für die meisten Studierenden - nicht nur für die aus dem Ausland, aber für sie verschärft sich das Problem - Geldverdienen eine existenzielle Notwendigkeit. Da lauert laut ÖH-Referentin Eraslan das nächste Problem, auf das die Hochschülerschaft nun mit einer Petition aufmerksam machen will.

Darin wird "Gleiches Arbeitsrecht für alle Studierenden" gefordert: "Auch ausländische Studierende müssen das Recht haben, sich ihr Leben und Studium selbst zu finanzieren." Zumal trotz Ausnahmen viele noch zusätzlich die doppelte Studiengebühr (726 Euro im Semester) zahlen müssen.

Sie dürfen im Bachelorstudium nur maximal zehn Stunden pro Woche arbeiten, im Masterstudium bis zu 20. Diese Zwangslage zwingt viele in die Illegalität, die wiederum den Aufenthaltstitel gefährdet, oder sie liefert die arbeitssuchenden Studierenden Arbeitgebern oft aus. "Es reicht einfach nicht", sagt Idil und unterstützt die ÖH-Forderung nach, wie Rukiye Eraslan sagt, "Erhöhung auf eine realistische Größe".

Mitterlehner bezüglich Arbeitszeit gesprächsbereit

Für Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ist die Zehn-Stunden-Regelung im Ausländerbeschäftigungsgesetz, das im Sozialministerium ressortiert, kein Dogma, sagt er auf STANDARD-Anfrage: "Im Interesse einer vorausschauenden Standortpolitik sollte gegenüber Studierenden, die potenziell als Fachkräfte von morgen infrage kommen, ein offener und integrativer Zugang gewählt werden. Wir sind grundsätzlich offen für Veränderungen der bestehenden Regelungen."

Neben all den Alltagsproblemen, die zu bewältigen sind, sollen internationale Studierende ja eigentlich noch studieren. In den meisten Fällen heißt das zuerst Deutsch lernen. Kostet auch. Dann die "Studieneingangs- und Orientierungsphase" (Steop), die ohne sehr gutes Deutsch schnell ins Out führen und den Aufenthalt kosten kann. "Ich war schockiert, ich habe nichts verstanden", sagt Azad, trotz absolvierten Deutschkurses neben Neun-Stunden-Arbeitstagen.

"Die Realität ist, dass aufgrund dieses permanenten Zeit- und Leistungsdrucks nur sehr wenige das Studium hier abschließen und wieder zurückgehen mit nichts in der Hand. Diese Menschen verlieren Geld, Zeit und Hoffnung, weil Erfolg unter diesen Umständen kaum möglich ist", sagt Idil.

Doppelt teures Leben

Azad, der mittlerweile ohne Hilfe der Eltern ganz auf sich allein gestellt ist und sein Leben selbst finanzieren muss, droht derweil neues Ungemach: In einem Jahr, wenn er 24 wird, geht die Republik Österreich nämlich davon aus, dass er sich dann quasi den doppelten Lebensstandard leistet: Ab 24 müssen Drittstaatsstudierende pro Jahr 10.292,76 Euro auf dem Konto vorrätig haben, um weiterstudieren zu dürfen. In dem Land, über das er noch immer sagt: "Für mich war das ein Anfang für ein neues Leben." (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 23.6.2014)

*Auf Wunsch Vorname geändert bzw. Nachname nicht genannt.