Brüssel/London - Im Streit über die Ernennung eines neuen EU-Kommissionspräsidenten versucht Großbritannien eine Entscheidung hinauszuzögern. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag aus britischen Diplomatenkreisen erfuhr, will die Regierung in London dafür sorgen, dass die Diskussion auch nach dem EU-Gipfel Ende kommender Woche weitergeht. Die Amtszeit der jetzigen Kommission läuft im Oktober aus.

Großbritannien hofft den Angaben von zwei Diplomaten zufolge, dass bis dahin die Unterstützung für den früheren luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker schwinden könnte.

Der britische Premierminister David Cameron will Junckers Ernennung verhindern, konnte bisher aber nicht die dafür erforderliche Sperrminorität im Gremium der EU-Staats- und Regierungschefs mobilisieren. Cameron stößt sich nicht nur an der Person Junckers, der ihm als zu integrationsfreundlich gilt, sondern auch am System europaweiter Spitzenkandidaten. Die großen Fraktionen im Europaparlament hatten vereinbart, dass der Spitzenkandidat der mandatsstärksten Partei bei der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden soll. Junckers Europäische Volkspartei (EVP) hat bei dem Urnengang Ende Mai ihren ersten Platz trotz Verlusten behaupten können.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bekräftigte am Freitag seine Unterstützung für Juncker. Auch die slowenische Regierungschefin Alenka Bratusek, die London zunächst als Verbündete gegen Juncker gesehen hatte, sprach sich nach einem Treffen mit Faymann und dem kroatischen Premier Zoran Milanovic für den EVP-Kandidaten aus. Nach anfänglichem Zögern hat Juncker auch die Unterstützung der mächtigen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Laut dem EU-Vertrag wird der EU-Kommissionspräsident von den Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit ernannt, wobei diese das Ergebnis der Europawahl zu berücksichtigen haben. Sie tun auch gut daran, muss der designierte Kommissionspräsident doch vom Europaparlament mit absoluter Mehrheit aller seiner Mitglieder (376 von 751 Abgeordneten) gewählt werde. Führende Europaparlamentarier haben versichert, nur einen der europaweiten Spitzenkandidaten wählen zu wollen. (APA/Reuters, 20.6.2014)