Italien, der südliche Nachbar der österreichischen Donaumonarchie, trat erst 1915 als kriegführende Partei in den Ersten Weltkrieg ein. Die Beobachtungen des sardischen Autors und späteren Politikers Emilio Lussu (1890-1975) gelten einem schmalen Zeitfenster. Vom Frühling 1916 bis zur nämlichen Jahreszeit im Jahre 1917 lagen einander auf dem Hochplateau von Asiago österreichische und italienische Streitkräfte gegenüber.

Gelegentliche Sturmangriffe zerschellten an der geballten Feuerkraft der Kontrahenten. Im Wesentlichen wurde der Kriegsalltag in Gräben verbracht, die man der unzugänglichen Topografie mit ihren Erhebungen aus Kalkstein abgetrotzt hatte.

Lussu, der Sarde, der in Gefechtspausen Ariost und Baudelaire schmökert, ist Kompanieführer im Range eines Hauptmanns. Sein 1938 im Exil verfasstes Werk Ein Jahr auf der Hochebene gehört zu den wichtigsten Zeugnissen der Kriegsliteratur. Man wird füglich davor zurückscheuen, das Buch "packend" zu nennen. Es ist ein Pamphlet. Jede einzelne Seite drückt den Abscheu vor einem Geschehen aus, das der Tendenz nach die Menschen physisch vernichtet, ihnen vorher jedoch den Verstand raubt.

Das Jahr auf der Hochebene teilt mit Hemingways In einem andern Land den Kriegsschauplatz. Andere Vergleiche fallen schwerer. Jaroslav Haseks Schwejk ist verschmitzter. Karl Kraus' wütende Einwände hingegen wurden in einem Hinterland formuliert, in dem der Kriegslärm in der veröffentlichten Meinung zu einem besonders hässlichen Echo anschwoll.

Lussus Kunst besteht im Weglassen moralischer Bekenntnisse. Am ehesten scheint er für den gesunden Menschenverstand zu plädieren. Sein Blick ruht ausdruckslos auf den vorgesetzten Offizieren, die mit wahrem Hölleneifer Pläne für die Vernichtung der eigenen Mannschaften aushecken.

Begriffe wie "Pflicht" und "Tapferkeit" bilden das symbolische Kapital der Offizierskaste. Die Vertreter der Elite ruhen nicht, ihre Todesverachtung zur Schau zu stellen. Die eigenen Schießscharten werden beliebte Ziele feindlicher Scharfschützen. Dennoch bestehen die Inspekteure der Reihe nach auf dem Privileg, einen Blick durch eines der Gucklöcher werfen zu dürfen. Einer nach dem anderen sinkt mit Kopfschuss hintenüber. Andere Offiziere erleben den Untergang der Zivilisation, indem sie literweise Schnaps in sich hineinleeren.

Werden die Mannschaften in der vordersten Linie mit Schnaps und Schokolade beliefert, bemächtigt sich ihrer erst recht das Grauen. Sonderrationen sind nur eine andere Chiffre für den unmittelbar bevorstehenden Frontalangriff. Er endet unvermeidlicherweise im Sperrfeuer gegnerischer Maschinengewehre.

Dabei ist Lussus Chronik aus der Kriegshölle ein Werk der Hochkomik. Der Autor verzeichnet das Verhalten von Generälen, die Angriffe der ihren mit Trompetenstößen ankündigen lassen. Prompt zeigen sich die Österreicher gewarnt, mähen die Italiener nieder. Lussu hält die tiefe Befriedigung fest, die der General mit dem schönen Namen Leone daraufhin empfand. Krieg ist kein "inneres Erlebnis" (Ernst Jünger), sondern eine Übermacht, die den Menschen zerschmettert. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 21.6.2014)