Süleyman der Prächtige, war einer der bedeutendsten osmanischen Sultane. Er brachte Ordnung ins (islamische) Rechtssystem, förderte die Künste (ein Porträt von ihm wird Tizian zugeschrieben) und ließ in Istanbul die großartige Süleymaniye-Moschee bauen, die die Seite zum Goldenen Horn hin dominiert.

War es dieser Süleyman, auf den sich der türkische Premier Erdogan jetzt in Wien bezog, als er die Türken in Österreich als "Enkel Süleymans" bezeichnete? Oder meinte er den Süleyman, der durch unablässige Kriegszüge dem Osmanischen Reich dessen größte Ausdehnung verschaffte (in Europa bis Ungarn und ins heutige Rumänien) und 1529 bei der ersten Türkenbelagerung vor Wien scheiterte?

Einen Hinweis gibt die Tatsache, dass Erdogan seine begeisterten Wiener Zuhörer auch als "Enkel Kara Mustafas" bezeichnete. Der war Großwesir (eine Art Premierminister) und Feldherr unter Sultan Mehmet IV. Nach Kriegszügen bis Polen und Südrussland (!) belagerte er Wien, machte aber aus Hochmut verheerende taktische Fehler, wurde vom polnisch-deutschen Entsatzheer schwer geschlagen und auf Befehl des Sultans mit der seidenen Schnur erdrosselt.

Zwei Feldherren in türkischen Expansionskriegen, die jeweils Wien belagerten, als "Großväter" der heutigen Türken in Österreich? Man muss schon sehr wohlwollend sein, um diese historischen Anspielungen Erdogans nicht als Affront zu empfinden.

Tatsächlich ist Erdogan erstens taktlos (auch gegenüber den Landsleuten wie beim Grubenunglück) und zugleich ein ausgeprägter religiöser Nationalist. Befeuert wird er vom Gefühl neuer osmanisch-türkischer Größe, aber mit puritanischer Ausrichtung. Erdogan wollte eine TV-Serie verbieten, weil sie Süleyman (korrekt) als Alkohol trinkenden Haremsstammgast zeigte.

Dabei betrachtet er die Auslandstürken, ob Bürger des jeweiligen Staates oder nicht, als Instrument seiner auftrumpfenden Politik. Die Frage ist: a) inwieweit eine nennenswerte Zahl an Türkischstämmigen in Österreich und Deutschland da mitmacht und b) was die heimischen Regierungen da gegebenenfalls machen sollen.

Leser Gerhard G. meint dazu, es würde sich ja auch ein beträchtlicher Teil der "alteingesessenen Österreicher" einen "starken Mann an der Spitze" wünschen; außerdem könne es so sein, dass - wie in den USA - die verschiedenen Einwanderergruppen zwar ihre kulturelle Identität behalten, trotzdem aber gute Amerikaner/Österreicher/Deutsche sind.

Letzteres ist jedenfalls ein klares politisches Ziel. Teil eins wäre, sich über Erdogan keinen Illusionen mehr zu machen; Teil zwei, Erdogan und seinen Gefolgsleuten die Unerwünschtheit dieses Verhaltens klarzumachen. Außenminister Sebastian Kurz hat damit begonnen. Teil drei: die Assimilierung der türkischstämmigen Bevölkerung zu fördern und maßvoll, aber klar zu fordern. Sie sind nicht die "Enkel" von osmanischen Gewaltherrschern, sondern Bürger oder Einwohner eines modernen demokratisch verfassten Staates. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 21.6.2014)