Wien – In der Tat sah die Sache damals aus wie ein "gewöhnlicher" – wenn auch ungewöhnlich brutaler – Versuch eines Autoraubs: Als der 45-jährige Kriminalgruppeninspektor Gerhard Loitzenbauer, "Sicherheitsattaché" an der österreichischen Botschaft in Beirut, am 23. Juni 1984 seinen roten Alfetta vor seinem Wohnhaus im Stadtteil Manara einparkte, sprangen plötzlich zwei Männer hinzu. Sie bedrohten ihn mit Waffen, Loitzenbauer weigerte sich auszusteigen. Daraufhin eröffneten die Männer das Feuer. Loitzenbauer traf ein Geschoß Kaliber .9 mm in die Brust und durchbohrte sein Herz. Obwohl er sofort ins amerikanische Spital in Beirut gebracht wurde, erlag der Österreicher seinen schweren Verletzungen, die Täter flüchteten in seinem Auto.

Die örtliche Polizei berichtete wenig später an die österreichischen Behörden von einem "Autoraub" ohne politischen Hintergrund – was diese auch offiziell übernahmen und so an die Medien weitergaben. Inoffiziell wurden freilich bald Zweifel laut. War Loitzenbauer, der den Nahen Osten nur zu gut kannte, im Auftrag von Waffenschiebern ermordet worden? Mehrere Medien, unter anderen die "Kronen Zeitung", stellten seinen Tod in einen Zusammenhang mit "rätselhaften Waffengeschäften" und nannten seinen Namen in einer Reihe mit Karl Lütgendorf, Herbert Amry, Heribert Apfalter und dem österreichischen Honorarkonsul Bernhard Maier, der 1988 von einer Brücke bei Genf 40 Meter in den Tod stürzte. Andere nannten auch den vermeintlichen Selbstmord des deutschen Politikers Uwe Barschel in dieser Reihe. Ein ehemaliger Oberst der Kriminalpolizei, Leo Frank, der mit Loitzenbauer befreundet gewesen war, schrieb später in einem Roman über den Fall – auch er vertrat die These von den Waffenschiebern, die seinen Freund umgebracht hätten.

Der Historiker Thomas Riegler vermutet dagegen ein hochpolitisches Mordmotiv: "Wahrscheinlich war Loitzenbauers Ermordung eine tragische Konsequenz des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus", sagte Riegler zum STANDARD. Die These, die Riegler auch in seinem Buch "Im Fadenkreuz: Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985" vertritt (Unipress-Verlag, in der Reihe Zeitgeschichte im Kontext): Loitzenbauer sei Opfer eines gezielten Racheakts geworden. Ob vonseiten des PLO-Geheimdiensts Jihaz al-Rasd oder von anderer Seite, ist freilich bis heute unklar.

Der gebürtige Welser Loitzenbauer war ein wichtiger Mann an der Botschaft in Beirut, damals der wichtigste Außenposten Österreichs im Nahen Osten. Seit 1979 war er dort offiziell mit der Prüfung von Visaanträgen und der Echtheit der vorgelegten Pässe befasst – in Wahrheit aber mit Sonderaufgaben betraut, die weit über das Diplomatische hinausgingen. Er hatte sich ein ausgezeichnetes Informationsnetzwerk zu allen politischen Gruppen in der Region aufgebaut – worauf man in Österreich nur zu gern zurückgriff, auch in Ermangelung eines Auslandsgeheimdiensts (bis heute). Loitzenbauer beschaffte nachrichtendienstliche Informationen aus dem Bürgerkriegsgebiet Beirut, worauf man in Wien dringend angewiesen war – die Terrorgefahr galt, spätestens seit den Attentaten auf Stadtrat Heinz Nittel und die Wiener Synagoge, als sehr hoch.

1981 trug Loitzenbauer wesentlich dazu bei, dass ein Mordkomplott des PLO-Geheimdiensts gegen den ägyptischen Präsidenten Sadat in Österreich fehlschlug. Die palästinensische Seite hatte Sadats Friedensschluss mit Israel in Camp David (1978) als Verrat empfunden und plante, ihn bei seinem Salzburg-Besuch 1981 zu erschießen. Durch einen gezielten Tipp Loitzenbauers konnte die Flughafenpolizei in Schwechat die Boten mit den dafür vorgesehenen Waffen festnehmen. Der damalige Innenminister Erwin Lanc bestätigt, dass der entscheidende Tipp von Loitzenbauer kam. Die diplomatische und politische Aufregung war beträchtlich, Bundeskanzler Bruno Kreisky rief von seiner Kur in Bad Wörishofen im PLO-Hauptquartier an und sagte zu Yassir Arafat: "I feel deeply betrayed."

Der damalige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien-Schwechat erinnert sich im Gespräch mit dem STANDARD an seine eigenen Verbindungen in den Libanon: "Das war damals eine Drehscheibe für den Haschisch-Handel, ich hatte gute Kontakte dort und habe immer wieder entscheidende Hinweise für Rauschgift-Lieferungen bekommen." Einmal sagte ein Gewährsmann zu ihm, in Anspielung auf Loitzenbauer, den Rupf gut kannte: "Dein Freund dort spielt falsch." Er habe den Sicherheitsattaché daraufhin gewarnt: "Fahr nicht mehr hin, der Boden ist heiß", habe er ihm bei seinem nächsten Österreich-Besuch erklärt. Loitzenbauer wollte aber noch eine Zeitlang in Beirut bleiben. Rupf: "Drei Wochen später war er tot. Die Sache mit dem Autoraub stimmt nicht."

Das glaubte wohl auch Innenminister Lanc nicht, der im Libanon Nachforschungen zu Loitzenbauers Tod anstellen ließ. Vergeblich. Ebenso sein Nachfolger Karl Blecha, der auf eigene Faust Recherchen anstellte. Weit sei er nicht gekommen im Libanon, erinnert sich Blecha im STANDARD-Gespräch, aber er sei zu der Überzeugung gelangt: "Loitzenbauer war zu gut vernetzt. Das war sehr gefährlich für terroristische Gruppen. Also mussten sie ihn liquidieren." Wer genau – da will sich Blecha auch heute nicht festlegen. Sein Gewährsmann im Nahen Osten, der Chef der Amal-Miliz, hielt damals den PLO-Geheimdienst und die Abu-Nidal-Leute für eher nicht involviert – und brachte den Islamischen Jihad, einen bewaffneten Arm der proiranischen Hisbollah, ins Spiel.

"Durch unsere aktive Neutralitätspolitik waren wir exponiert", sagt Blecha heute. Dennoch sei es der richtige Weg gewesen: "Wir konnten viel an Terror verhindern, indem wir unsere Kontakte gepflegt haben." Er bedaure sehr, "dass das unter späteren Regierungen vernachlässigt wurde". Eine Kontaktpflege, die mitunter tödlich verlaufen konnte. (Petra Stuiber, DER STANDARD, Langfassung, 21.6.2014)