Android und Chrome-Boss Sundar Pichai (hier bei der Google I/O 2013) spielt die zentrale Rolle bei vielen aktuellen Entwicklungen des Softwarekonzerns.

Foto: Google Developers

In wenigen Tagen ist es wieder einmal so weit: Ab Mittwoch findet im San Franciscoer Moscone Center West die zentrale Google-Konferenz des Jahres statt - die Google I/O. Wie die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, nutzt das Unternehmen diesen Rahmen für einen Schwall an Neuvorstellungen. Was es dabei zu sehen geben wird, unterliegt derzeit natürlich noch der Geheimhaltung. Anhand von diversen Vorabinformationen und einem Blick auf größere Entwicklungsstränge soll im Folgenden trotzdem versucht werden, die zentralen Themen zu umreißen, und über mögliche Neuvorstellungen zu spekulieren.

Quantum Paper

Erst vor wenigen Tagen waren erste Details zu einer Initiative durchgesickert, die das Potential hat, eines der großen Highlights der I/O 2014 zu werden - immerhin handelt es sich dabei um eine Konferenz für EntwicklerInnen. Ziel von Quantum Paper ist es ein gemeinsames UI-Framework für Web, iOS und Android zu etablieren. Dies mit einheitlichen Style Guides und UI-Elementen.

Anpassung

Die Idee hinter Quantum Paper ist gleichzeitig aber nicht, ein und dasselbe Interface auf allen Plattformen zu nutzen. Viel mehr sollen Bausteine geliefert werden, die sich flexibel an die unterschiedlichen Gegebenheiten anpassen können. Ähnlich wie mit den Fragments unter Android schon jetzt gleichermaßen für Smartphone oder Tablet optimierte Oberflächen gebaut werden können - nur eben plattformübergreifend.

Polymer

Als technische Basis für die Webversion von Quantum Paper agiert ein anderes Projekt, das mit sieben Vorträgen eine äußerst starke Rolle im Programm der diesjährigen I/O einnimmt: Polymer. Google selbst bezeichnet die im Vorjahr erstmals vorgestellte Bibliothek nicht gerade bescheiden als die Zukunft der Webentwicklung. Die Idee dahinter ist, dass alles ein Element ist, das ohne große Experimente in eine Webseite eingebaut werden kann, also vom Overlaytext bis zur interaktiven Google-Maps-Grafik.

Einheitliches Design

Doch zurück zu Quantum Paper selbst: Dass Google die Zukunft in plattformübergreifendem, einheitlichen Design sieht, hat Android-Chefdesigner Matias Duarte schon vor einigen Monaten durchblicken lassen. Auf der heurigen I/O ist dieser Paradigmenwechsel unübersehbar. So sind nicht nur zahlreiche Sessions zu plattformübergreifendem Design geplant, selbst das offizielle Motto der Konferenz (“Design, develop & distribute”) stellt das bei Google vor einigen Jahren noch vernachlässigte Thema klar in den Mittelpunkt.

Neuer Look

Quantum Paper soll übrigens mit einer optischen Überarbeitung sämtlicher Google-eigener Apps einhergehen - und zwar auf allen Plattformen gleichzeitig. Insofern ist eine größere Updatewelle rund um die I/O zu erwarten. Eher unwahrscheinlich ist hingegen, dass es bereits die - sowohl in konzeptioneller als auch grafischer Hinsicht - großen Umbauten an der Android-Oberfläche zu sehen geben wird, die vor einigen Monaten im Rahmen der Berichterstattung über das “Project Hera” zu sehen waren. Waren diese damals doch noch in einem recht frühen Entwicklungsstadium. Insofern erscheint es wahrscheinlicher, dass diese Arbeiten erst gegen Ende des Jahres - oder überhaupt erst Anfang nächsten Jahres - präsentiert werden.

Android 4.5/5.0?

All dies geht direkt in eine andere Frage über: Wird es dieses Jahr zur I/O eine neue Androidversion geben? Seriöserweise muss die Antwort darauf lauten: Bisher gibt es kaum wirklich handfeste Hinweise in eine solche Richtung. Und auch wenn Google immer wieder einmal Android-Updates auf der I/O präsentiert hat, stellt dies keineswegs einen Automatismus dar. Vergangenes Jahr blieb etwa ein Android-Update zur I/O aus. Gleichzeitig muss wiederum angemerkt werden, dass der Zeitpunkt der Konferenz heuer wesentlich besser für die Präsentation einer neuen Androidversion geeignet wäre. Immerhin findet die I/O dieses Mal erst Ende Juni statt, letztes Jahr wurde noch Mitte Mai nach San Francisco gerufen. Damit stünde im üblichen, sechsmonatigen Google-Update-Rhythmus eigentlich bereits wieder eine neue Major Release an. Aktuelle Berichte sprechen übrigens davon, dass die "L"-Version von Android erst Ende 2014 veröffentlicht werden soll. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre ein zur I/O präsentiertes Update also konsequenterweise eine zweite Auflage von "KitKat" - und damit wohl auch Android 4.5 und nicht 5.0.

ART

Bleibt die Frage, was so ein Android 4.5 an Neuem bieten könnte: Wirklich sicher ist dabei eigentlich nur eines: Der Tausch der zentralen Android-Runtime, die zur Ausführung aller (nicht-nativen) Anwendungen verwendet wird. ART wird das bisherige Dalvik ablösen, und soll so gleichermaßen die Performance verbessern, als auch - als in direkter Konsequenz - gewisse Verbesserungen bei der Akkulaufzeit bringen.

Kamera-API

Ebenfalls bereits einige Zeit in Entwicklung ist ein neues Kamera-API, auf das Dritthersteller aufbauen können, und das so manche neue Möglichkeiten bieten soll. Dazu gehört etwa die RAW-Unterstützung, durch die nicht zuletzt Dritt-Apps mehr Daten zu individuellen Optimierungen bekommen. Ebenfalls bereits durchgesickert ist, dass Google die Nutzung von Android im Auto durch Gesten-Support und eine überarbeitete Stimmsteuerung verbessern will.

Enterprise-Funktion

Einen weiteren Schwerpunkt der kommenden Androidversion sollen Verbesserungen für den Enterprise-Bereich darstellen. So soll etwa das gezielte Fernlöschen von einzelnen - etwa firmenrelevanten - Informationen möglich werden, ohne gleich das gesamte Gerät zurücksetzen zu müssen. Auch in den Bereichen Passwortspeicherung und Verschlüsselung soll Google an Verbesserungen arbeiten. Zudem ist offenbar ein Kill-Switch geplant, mit dem sich ein Gerät für alle außer dem eigentlichen Besitzer unbrauchbar machen lässt. Bisher ist von außen lediglich ein Factory Reset möglich, der zwar private Daten schützt, aber rein an der Hardware interessierte Dritte kaum stören dürfte.

64-Bit?

Kein großes Geheimnis ist zudem, dass eine 64-Bit-Version von Android in Entwicklung ist. Allerdings scheint es unwahrscheinlich, dass diese ohne passende Hardware vorgestellt wird - und die gibt es im ARM-Bereich jenseits von Apple schlicht noch nicht.

Google Play Services

Sehr gute Chancen gibt es hingegen für eine neue Version der Google Play Services, in denen Google Basistechnologien rund um die eigenen Online-Angebote versammelt. So soll etwa ein Service namens Google Nearby gestartet werden. Dieser soll über zahlreiche Faktoren die Nähe von Personen oder Geräten zueinander berechnen können - und damit neue Funktionen ermöglichen. Denkbar ist dabei vieles vom Login auf einem Computer mithilfe des eigenen Smartphones bis zu lokalen Ad-Hoc-Chats. Spannend wird insofern nicht zuletzt, welche Services Google selbst auf dieser Basis entwickelt hat.

Fitness

Die zweite große Neuerung soll Google Play Fitness heißen - also ein zentrales Fitness-Framework  für Android. Diese könnte dann von unterschiedlichen Apps genutzt werden, und all die diesbezüglich gesammelten Informationen zentral zusammenführen. Eine wichtige Rolle für solche Möglichkeiten spielen natürlich die Geräte, die solcherlei Daten sammeln, und da wären wir schon beim nächsten Thema.

Wearables

Android Wear wird fraglos einen der weiteren Eckpfeiler der Konferenz bilden. Schon bei der ersten Präsentation wurde darauf verwiesen, dass es bei der I/O in dieser Hinsicht viel Neues zu sehen geben wird. Und diese Ankündigung dürfte sich nicht nur auf das Wearables-System selbst beziehen, sondern auch auf damit ausgestattete Hardware. So soll aktuellen Informationen zufolge die LG G Watch mit Android Wear präsentiert werden, eventuell dazu noch die Moto 360 von Motorola. Auch von der Vorstellung eines Android-Wear basierten Geräts von Samsung war zuletzt die Rede.

Goodies

Eine Smartwatch ist denn auch ein sehr guter Tipp für jene Hardware, die Google heuer  an die TeilnehmerInnen vergibt. Immerhin würde man auf diese Weise schnell eine Basis von qualifizierten EntwicklerInnen schaffen - und genau darum geht es schlussendlich bei der Vergabe von Hardware durch Google. Zuletzt war davon zu hören, dass eine LG G Watch verteilt werden soll. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass Google laut eigenen Angaben noch mit zahlreichen anderen Herstellern an neuen Wearables arbeitet - darunter so illustre Namen wie ASUS, HTC - und eben Samsung.

Nexus?

Apropos Hardware: Die Veröffentlichung neuer Geräte der Nexus-Linie scheint hingegen mittlerweile relativ unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu neuen Androidversionen gibt es zu Hardware fast immer vorab Leaks, immerhin ist es sehr schwer die gesamte Produktionskette unter Kontrolle zu halten. Dazu kommt, dass die Zukunft der Nexus-Linie derzeit reichlich unsicher zu sein scheint. Zumindest für den Smartphonebereich scheint das Aus besiegelt zu sein, ein neues Nexus-Smartphone sei nicht mehr geplant, hieß es zuletzt im Zusammenhang mit Informationen über die "Android Silver"-Linie. Doch selbst von den vor einigen Monaten noch als recht sicher geltenden Tablets Nexus 8 / Nexus 10 (2014) war zuletzt nichts mehr zu hören. Zudem stellt sich natürlich die Frage ob solche Geräte ohnehin nicht besser in einem eigenen Rahmen vorgestellt würden, immerhin dürfte die I/O-Keynote auch so nicht gerade arm an - für EntwicklerInnen relevanteren - Ankündigungen werden. Recht knapp vor der Konferenz tauchte nun auch noch ein recht gut belegter Hinweis auf ein von HTC gebautes Nexus 9 auf - allerdings mit dem Hinweis, dass dieses erste gegen Ende des Jahres erscheinen soll. Also ist auch dieses kein Material für eine I/O-Keynote.

Hardwarezukunft

Vielleicht gibt es auf der I/O aber zumindest Hinweise auf die Zukunft der Nexus-Linie, also ob diese in einer anderen Form - etwa für Geräte jenseits der Smartphone-Sparte - weitergeführt oder doch ganz eingestellt wird. Praktisch auszuschließen ist hingegen, dass es bereits Informationen zu Android Silver, dem neuen Premium-Smartphone-Programme von Google geben wird. Immerhin soll dieses - wie zuletzt von mehreren Seiten kolportiert - erst Anfang des nächsten Jahres gestartet werden.

AndroidTV

Bereits vor einigen Monaten waren erste Screenshots von AndroidTV zu sehen, eine Art reduzierter und neu gestalteter Nachfolger für das wenig erfolgreiche GoogleTV. Bleibt abzuwarten, ob dieses auch im Rahmen der I/O vorgestellt wird. Damals hieß es jedenfalls von Seiten des üblicherweise sehr gut informierten Wall Street Journals, dass Google sogar an einer eigenen Hardware arbeitet, eine Art Mischung aus Media-Center und Spielekonsole. Gewisse Ähnlichkeiten zu Amazons FireTV wären also unübersehbar.

Chromecast

Eine offene Frage wäre dabei, wie AndroidTV in Relation zum Chromecast positioniert wird, dem - wie man aus Unternehmenskreisen hört - für Google selbst überraschend erfolgreichen HDMI-Stick. Auch wäre es an sich rund um das Chromecast wieder einmal Zeit für Neuerungen, etwa was die vor einigen Monaten angekündigten Partnerschaften mit TV-Herstellern oder auch eine etwaige zweite Hardwaregeneration betrifft.

Spracheingabe

Ein weiterer Dauerbrenner in der Google-Entwicklung sind Verbesserungen rund um die Suche und da zuletzt vor allem die Sprachinteraktion sowie die automatisch erstellten Karten von Google Now. Dabei soll die Android-App schon bald neue Tricks lernen: Neben den laufend erweiterten Karten, sollen in künftigen Version bisher exklusiv Motorola vorbehaltene Features für alle Geräte (mit der nötigen Hardwareausstattung) übernommen werden. Also vor allem die - optionale - Möglichkeit Sprachbefehle auch an ein Smartphone zu schicken, das gerade den Bildschirm deaktiviert hat.

Überall

Auch war zuletzt von einer Art “OK Google Everywhere” zu hören. Damit ist die Integration von Sprachbefehlen mit Dritt-Apps gemeint. Auf diese Weise könnte dann beispielsweise ein gerade geöffnetes Bild mit einem kurzen Befehl auf dem sozialen Netzwerk der eigenen Wahl gesharet werden. Ob diese Funktionalität bereits jetzt gezeigt wird - oder Bestandteil einer späteren Iteration der aktuellen Google-Android-Umbauten ist, muss sich freilich noch zeigen.

Google Glass

In den vergangenen beiden Jahren war Google Glass einer der großen Stars der Konferenz. Bisher zeichnet sich ein solcher Status für das Jahr 2014 nicht ab, andere Wearables scheinen den Datenbrillen aktuell etwas die Show zu stehlen. Wohl nur am Rande werden die experimentellen Hardwareprojekte von Google - das modulare Smartphone (Project ARA) sowie die 3D-Kameraerfassung im Rahmen des Project Tango zu sehen sein. Hier gab es in den letzten Monaten jeweils Spezialevents.

Vermischtes

Eventuell wird bereits der neue Youtube-Abo-Service, der mittlerweile von Google schon indirekt bestätigt wurde, vorgestellt, auch wenn der Launch aktuellen Informationen zufolge erst später im Sommer erfolgen soll. Sehr interessant wird zudem, was Google über die Zukunft von Google+ kommunizieren wird. Zuletzt häufen sich ja die Anzeichen, dass einige der unter diesem Begriff versammelte Technologien wieder ausgelagert werden könnten, und Google+ sich selbst auf seine Kernaufgaben - also das soziale Netzwerk - konzentrieren soll. Darauf deutet auch hin, dass Google+ Signin in einer Sessionbeschreibung der I/O mittlerweile als “Google Identity” bezeichnet wird.

Cloud, viel Cloud

Wie immer ist zudem davon auszugehen, dass Google so manche Neuerung in Fragen Cloud-Computing in petto hält. Immerhin handelt es sich dabei um ein rasch wachsendes Geschäft, das das Potential hat, künftig das zweite finanzielle Standbein von Google zu werden.

Here be dragons

Und dann gibt es noch all die zahlreichen Bereiche, die bisher noch gar nicht erwähnt wurden. Vom selbstfahrenden Auto bis zu künstlicher Intelligenz, von Robotern bis zur Gesundheitsforschung oder auch der Heimautomatisierung ist die Palette der - öffentlich bekannten - Projekte an denen Google mittlerweile arbeitet äußerst umfangreich geworden.

Keynote

In Summe darf die I/O 2014 also durchaus mit Spannung erwartet werden. So umfangreich war die Liste potenzieller Neuerungen im Vorfeld einer Google-Konferenz jedenfalls noch nie. Freilich muss klar sein, dass sich alleine schon vom zeitlichen - die Keynote ist auf zwei Stunden anberaumt - unmöglich sein wird, dass Google wirklich all das oben Erwähnte vorstellen wird. Gleichzeitig wird es aber auch sicher wieder die eine oder andere Überraschung geben - wie es schon in den vergangenen Jahren immer der Fall war.

Berichterstattung

Der WebStandard wird wie in den vergangenen Jahren direkt aus San Francisco von der Google I/O berichten. Dabei werden wir dieses Mal auch den Live-Stream der Keynote (Mittwoch, 25.6, 18:00 MESZ) übernehmen, um geneigten LeserInnen die Möglichkeit zur umgehenden Diskussion über alle Neuvorstellungen zu geben. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 22.6.2014)