Es gibt allerhand seriöse Gründe, warum man mit Manchester, der Wiege unserer modernen Industriekultur, Bekanntschaft schließen sollte. Zwei von ihnen sind von besonderer Bedeutung. Der Nachteil besteht allenfalls darin, dass sie einander ausschließen.

Von Old Trafford ...

Um es kurz zu machen: Wer den Fußballklub Manchester United verehrt, wird um einen Besuch der Sportanlage von Old Trafford nicht herumkommen. Das herrliche Stadion wird mit vietnamesischem (!) Bier betankt, vereint ansonsten aber die Annehmlichkeiten einer modernen Premier-League-Spielstätte mit der Aura eines säkularen Tempels.

Groß ist der Andrang derzeit nicht vor dem Old-Trafford-Stadion in Manchester. Fußball-Fans blicken nach Brasilien, und ManU hat eine bescheidene Saison hinter sich.
Foto: VisitBritain / Pawel Libera

Sir Alex Ferguson grüßt als steinerne Figur von der Glasfront herunter. ManU-Fans decken sich im Fanshop mit Glaubensartikeln ein. Besonders beliebt in der Textilabteilung heuer: der Mantel des Schweigens, den man über die abgelaufene Saison breitet.

... über The Quays ...

Der Stadtteil im Westen der Metropole, etwa in Sichtweite des Stadions, gehört zu Trafford und nennt sich The Quays. Kähne mit Schlammschaufeln wühlen träge im Manchester Ship Canal herum. Die BBC hat einen Großteil ihrer Sportstudios am Ufer dieser Hafenlandschaft geparkt. Ein funkelnder Glaspalast grenzt hier an den nächsten. Man kann wahlweise shoppen oder Möwen mit Gurkensandwiches füttern.

The Lowry Centre, Salford Quays
Foto: The Lowry Centre

Ein paar famose Bistros verwöhnen mit kontinentaler Kost. Im Imperial War Museum North, einem von Daniel Libeskind interessant geformten Kuchengebäude mit gewelltem Dach, nimmt der Besucher die Botschaft von der Sinnlosigkeit des Krieges mit nach Hause. Zur Stärkung des touristischen Durchhaltewillens gibt es im Shop besonders mürbe Kriegsschokolade (nachgebaut) und Teddys mit schütterem Pelz, perfekte Imitate der Stofftiere aus den frühen 1940er-Jahren.

... in die Heimat von Manchester City

Der zweite Grund, Manchester zu besuchen, ist dem ersten diametral entgegengesetzt, hat aber ebenfalls mit Fußball zu tun. Manchester City, der regierende Meister, unterhält seinen großen Fanshop im Herzen des Einkaufsviertels (Market Street). Das Etihad Stadium, die Heimat der "Citizens", liegt am anderen Ende der Stadt (Eastlands), jedenfalls von Trafford aus gesehen.

Das Imperial War Museum, ein von Daniel Libeskind entworfenes Kuchengebäude mit gewelltem Dach.
Foto: WayneDentith 2004

Die Blauen mögen vom Geld arabischer Investoren zehren. Auf der Ehrentribüne findet man dafür illustre Köpfe der Gegenkultur vertreten, etwa Oasis-Gitarrist Noel Gallagher oder, noch deutlich gegenkultureller, den sprechsingenden The-Fall-Nörgler Mark E. Smith. Wer Letzteren als "Mancunian", also als Bewohner von Manchester, anspricht, darf damit rechnen, einen Schwall unflätiger Beschimpfungen auf sich zu ziehen. Smith stammt aus dem Industrieviertel Salford. Wer in Salford wohnt oder den lokalen Pub besucht, rümpft über die City bloß die Nase.

Manchester, eine sexy Universitätsmetropole

Auch für Salford gilt: Wir sind Medienstadt! Hier befinden sich zum Beispiel die Originalschauplätze von Coronation Street. Gegen die Zählebigkeit dieser seit 1960 regelmäßig ausgestrahlten Seifenoper nimmt sich die Lindenstraße aus wie eine Eintagsfliege. Im nahen Industriemuseum kann man dafür den ältesten Computer der Welt bestaunen, oder besser gesagt: was heute von ihm übrig ist. Man fühlt sich an eine Transistoranlage aus der Volksrepublik Nordkorea erinnert.

Auch ganz ohne Fußball ist Manchester eine herrliche Stadt. Rund um die roten Ziegelbauten pulsiert das pralle Leben einer sexy Universitätsmetropole (mit mehr als 100.000 Studiosi), die sich gekonnt zu inszenieren versteht. London? Toll. Aber wer kann sich das schon leisten ... (Ronald Pohl, Album, DER STANDARD, 21.06.2014)