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Neue Rekordstände bei Aktien- und anderen Kapitalmärkten könnten erneut zu Finanzkrisen und hohen Aufräumkosten führen, warnt Ökonom Feldstein.

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Martin Feldstein war anlässlich einer Tagung des Instituts für Höhere Studien in Wien und hat auch an der Oesterreichischen Nationalbank einen Vortrag zur US-Geldpolitik gehalten.

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STANDARD: Die US-Notenbank drosselt hre Anleihenkäufe, weil sie gerade vom US-Arbeitsmarkt positive Signale bekommt. Die Europäische Zentralbank kündigte jüngst neue Maßnahmen wie einen negativen Einlagenzins an, um die nach wie vor schwache Konjunktur zu unterstützen. Wieso hinken die Europäer den US-Amerikanern wirtschaftlich hinterher?

Feldstein: Das hat mehrere Gründe. Aber ohne Zweifel ist die Währung eine erhebliche Barriere. Der Euro ist relativ teuer. Wäre er schwächer gäbe es nicht nur mehr Exportnachfrage, auch Europa würde Anreize haben Importe mit eigenen Produkten zu ersetzen. Dazu kommt, dass in den USA allmählich die geldpolitische Unterstützung ankommt.

STANDARD: Inwiefern?

Feldstein: Die massiven Anleihekäufe haben erst vor kurzem zu wirken angefangen. Seit 2013 haben die Aktienkurse deutlich angezogen und der Immobilienmarkt hat eine Trendwende vollzogen. Damit haben die Anleihekäufe genau so funktioniert, wie Ben Bernanke es angekündigt hat: Sie haben die Vermögenspreise angehoben. Über einen Vermögenseffekt lässt sich heute feststellen, dass gerade der Konsum unterstützt wird. Ich bin für dieses Jahr daher erstmals seit langer Zeit wieder optimistisch, trotz des schwachen ersten Quartals. Viele Bremsen für die Wirtschaft, etwa Probleme bei der Budgetpolitik, gibt es 2014 schlicht nicht.

STANDARD: Aber wie nachhaltig ist dieser jüngste Aufschwung in den USA, gerade durch die steigenden Preise von Finanzanlagen und Immobilienmärkten?

Feldstein: Ich denke, hier gibt es Risiken. Es ist ein gefährliches Spiel. Derzeit bekommen wir aber die Vorteile zu spüren, dass höhere Vermögen auch den Konsum ankurbeln. Wir wissen aus den Mikrodaten, dass es den hochwertigen Einzelhändler besser geht, während etwa Walmart in den vergangenen Quartalen ziemlich gelitten hat. Dessen Klientel sind keine Aktionäre. Der aktuelle Aufschwung steht nicht auf so solidem Fundament, denn er basiert nicht auf steigenden Einkommen, sondern nur auf steigenden Vermögen.

STANDARD: Verschärft die Fed mit ihrer Politik auch die Ungleichheit, die aktuell wegen des Buches des französischen Ökonomen Thomas Piketty heftig debattiert wird?

Feldstein: Piketty beschreibt zum einen Einkommensungleichheit, auf der anderen Seite ungleiche Vermögensverteilung. Die Geldpolitik hat nichts mit der Einkommensungleichheit zu tun. Dazu muss man sagen, dass gerade die US-Vermögenszahlen im Piketty-Buch ziemlich nutzlos sind, weil es keine wirkliche Datengrundlage für die Schätzung gibt. Klar ist aber, dass alleine 2013 durch den Aktien- und Immobilienboom zehn Billionen Dollar an Vermögen im Haushaltssektor geschaffen wurden. Daher entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Präsident Barack Obama Beschwerden über Millionäre und Milliardäre äußert, aber die eine Politik, die der Realwirtschaft zuletzt genutzt hat, eben auch den Vermögenden geholfen hat. Insgesamt kann man aber sagen, dass der jüngste Trend nicht nur extrem Reichen geholfen hat, weil etwa die Erholung der Immobilienmärkte eine breite Basis hat.

STANDARD: US-Geldpolitiker wie Fed-Chefin Janet Yellen bestreiten vehement, mit ihrer Politik den Reichen zu helfen. Sie argumentieren, dass die lockere Geldpolitik gerade auch den ärmeren Bevölkerungsschichten hilft, etwa über höhere Beschäftigung und mehr Wachstum?

Feldstein: Die Fed hat auf dem Arbeitsmarkt zuletzt wohl etwas geholfen, die Beschäftigung zu heben. Aber die Bilanz ist dabei durchwachsen. In den vergangenen zwölf Monaten ist die Arbeitslosigkeit zwar von 7,2 auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Aber drei Viertel dieser gesunkenen Arbeitslosigkeit kommt von einer gesunkenen Beteiligung am Arbeitsmarkt. Das ist keine große Hilfe, es zeigt nur, dass viele Langzeitarbeitslose aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen. Mehr Erfolg hatte die Fed bei der Unterstützung der Vermögenspreise und des Konsums.

STANDARD: Welche Risiken sehen Sie aktuell für die größte Volkswirtschaft der Welt?

Feldstein: Es gibt zwei Risiken: Die Realwirtschaft könnte erneut geschwächt werden. Der Häusermarkt und damit der Konsum könnten wieder enttäuschen. Dann könnten viele der Ramschanleihen, die Investoren zuletzt wegen der Niedrigzinspolitik gekauft haben, sich als wertlos entpuppen. Das andere Risiko ist: Die Wirtschaft beschleunigt sich und die US-Notenbank muss die Geldpolitik straffen. Dann könnte es Panikverkäufe bei Anleihenfonds geben, Investoren könnten fest verzinste Wertpapiere in Scharen verkaufen. Das ist beides Risiken für die Finanzstabilität. Die Fed macht sich leider bis dato zu wenig Gedanken um die Finanzstabilität. Aber wenn die Politik weiter gestrafft wird, und das ist angesichts steigender Inflationsraten abzusehen, dann könnte es echte Gefahren geben.

STANDARD: Aber in den vergangenen Jahren hat es viele neue Regeln für die Finanzmärkte gegeben. Könnten die nicht eine erneute Krise verhindern?

Feldstein: Nein. Ich fürchte nicht. Erst diese Woche ist bekannt geworden, dass die Fed offenbar prüft, ob sie den Verkauf von Anleihenfonds erschweren soll, um eine mögliche Panik zu verhindern. Es bleibt noch viel zu tun.

STANDARD: Hätte Quantitative Easing, also ein milliardenschweres Kaufprogramm von Anleihen, auch in Europa gewirkt?

Feldstein: Das lässt sich nicht einfach beantworten. In den USA ist der reale Währungskurs kaum verändert worden. Auch die Inflation ist wegen QE kaum verändert worden. Dazu muss man sagen, dass Europa und die USA sich stark unterscheiden. Europa hat ein Finanzsystem, das auf Banken aufbaut, in den USA sind Kapitalmärkte wesentlich größer und wichtiger. Dazu darf man eines nicht vergessen, wenn man das Wachstum der USA und der Eurozone vergleicht. In den USA wächst nach wie vor die Bevölkerung. Bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf hat sich auch in den USA kaum etwas getan. Das Wachstum war so betrachtet bis 2013 auch dort deprimierend niedrig.

STANDARD: Ihre Professur an der Harvard-Universität hatte vor mehr als 70 Jahren der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter inne. Er hat Innovation und Unternehmertum als Bedingung für den langfristigen wirtschaftlichen Fortschritt betrachtet. Heute ist hingegen viel von Stagnation die Rede. Wird es noch Wachstum geben?

Feldstein: Die Voraussetzungen sind immer noch da, technischem Fortschritt, Produktivität und damit Wohlstand zu erzielen ist. Wer heute eine Prognose macht, dass das langfristige Wachstum in den nächsten Jahrzehnten schwächer wird, hat vor allem einen Grund im Sinn: Demografie. IDas hohe Arbeitskräftewachstum der 1960er und 1970er, etwa über höhere Beschäftigung bei den Frauen, lässt sich nicht wiederholen.

STANDARD: Wird angemessen auf die demografische Herausforderung reagiert?

Feldstein: Es wird zu wenig gemacht. In den USA etwa werden die staatlichen Programme für Pensionen und Pflege in den kommenden Jahren deutlich teurer. Darauf muss die Politik reagieren, um die steigenden Kosten in den Griff zu bekommen. Wir haben zuletzt etwa das Antrittsalter erhöht. Das ist der einfachste Kompromiss und eine Politik, die weltweit noch verstärkt genutzt werden wird. Aber es gibt hier keine wirklich einfachen Antworten.