Wien – Dem Angeklagten steht in heimischen Gerichtsverfahren laut Strafprozessordnung das letzte Wort zu. In gefühlten 99 Prozent der Fälle lautet es: "Ich war es nicht" oder "Es tut mir leid." Rekos-Chef Ewald Stadler braucht in seinem Nötigungs-Prozess ein wenig mehr Worte. Konkreter: Er hält eine über 15 Minuten dauernde Ansprache, weshalb der Vorwurf von Staatsanwältin Stefanie Schön absurd sei, er habe am 22. Dezember 2006 versucht, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit dessen "Paintball-Fotos" in einem innerparteilichen Konflikt unter Druck zu setzen.

Möglicherweise ist es die stickige Luft, die am letzten Prozesstag die Emotionen in dem Verhandlungssaal schon früh hochgehen lassen. Stadlers Ehefrau sagt als Zeugin aus, sie habe mit ihrem Gatten am fraglichen Tag die Weihnachtseinkäufe erledigt. Daher könne er sich gar nicht mit seinem mitangeklagten Mitarbeiter und dem Wiener FP-Klubobmann Johann Gudenus in einem Chinarestaurant getroffen und gedroht haben.

Aufregung um Ehefrau

Anklägerin Schön scheint das nicht recht zu glauben und deponiert bei Richterin Andrea Philipp den Wunsch nach einer Protokollabschrift der Aussage – möglicherweise könnte sie ja falsch und damit illegal sein.

Für Stadlers Verteidiger Gernot Steier Grund genug, seine Kontrahentin der gefährlichen Drohung und Einschüchterung zu bezichtigen und ihre Abberufung zu verlangen. Eine Forderung, die Philipp nach einer halbstündigen Unterbrechung ablehnt.

Als vorletzte Zeugin tritt Martina Schenk auf, die ebenso wie Stadler eine bewegte politische Vergangenheit hat. Im Jahr 2006 war sie Bundesgeschäftsführerin der FPÖ, wechselte dann zum BZÖ und sitzt nun als Team-Stronach-Abgeordnete im Nationalrat.

Sie war im Jänner 2007 bei einer FPÖ-Vorstandssitzung dabei. Einem Treffen, bei der laut Aussagen von Gudenus und Strache der von den beiden noch am 22. Dezember verfasste Aktenvermerk über das Treffen im Restaurant vorgetragen wurde.

Bilder bei Vorstandssitzung

"Daran kann ich mich nicht erinnern", sagt sie nun. Allerdings habe sie die fraglichen Bilder damals gesehen. Die hatte Stadler nämlich Tage nach dem angeblichen Droh-Treffen an Hilmar Kabas geschickt, der sie auch präsentierte. "Das war aber kein großes Thema, es hat geheißen, die sind kein Problem, da ist nichts dran."

Schenk unterstützt damit Stadlers Verteidigungslinie: Dass er die ihm zugespielten Fotos nur aus Sorge um die Partei weitergeleitet habe. Er sah darin nämlich politische Gefahr, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen würden. "Ich bin in dem Thema besonders sensibel, meine Familie war immer anti-nazistisch, da mein Großonkel acht Tage vor Kriegsende von der SS erschossen worden ist", verdeutlicht er.

Und überhaupt: Hätte er Strache schaden wollen, hätte er die Bilder einfach ohne Warnung an die Medien geschickt, argumentiert er.

Aufgeregter Gudenus-Besuch

FPÖ-Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, im Jahr 2006 Pressesprecher der FP Wien, sorgt als nächster Zeuge dafür, dass das Pendel wieder gegen Stadler ausschlägt. Er berichtet nämlich, dass er dabei gewesen sei, als Johann Gudenus am 22. Dezember aufgeregt von dem Treffen mit Stadler in Straches Büro gekommen sei und die Drohung geschildert habe.

Verteidiger Steier schafft es im Laufe des Verhandlungstages, die für gewöhnlich ausnehmend ausgeglichene Richterin Philipp zu Unmutsäußerungen zu bewegen. Er spricht, wenn er nicht am Wort ist und giftet gelegentlich gegen die Staatsanwältin.

Auch mit seinen Beweisanträgen macht er sich wohl nicht übermäßig beliebt. Er will Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hören, der als "sachverständiger Zeuge zur politischen Bedeutsamkeit der Bilder" aussagen soll. Damals hatte sie Gusenbauer nämlich als "Jugendsünde" abgetan – womit sie als Druckmittel ungeeignet wären.

Eine Hausdurchsuchung bei einem für die FPÖ tätigen Notar wünscht sich der Jurist ebenso wie die Einvernahme des ORF-Journalisten Eduard Moschitz, der mit der FPÖ wegen seiner "Skinhead-Reportage" im juristischen Clinch liegt.

Verteidiger mit Diktafon

Fassungslosigkeit löst er bei der Richterin aber erst aus, als die nach 20 Minuten Nachdenkpause zur Verkündung des Urteils kommen will. Steier packt nämlich ein Diktafon aus und fragt, ob er aufnehmen darf. "Das ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen", lautet Philipps verblüffte Antwort.

"Das stimmt, nicht, die Parteien dürfen es schon", kontert Steier. Und verweist auf seine schlechten Erfahrungen beim Landesgericht Graz, wo die mündliche und spätere schriftliche Begründung des Urteils angeblich diametral entgegengesetzt ausgefallen seien.

"Wollen Sie mir das unterstellen?", wundert sich Philipp. "Das ist jetzt eigentlich schon ein starkes Stück", fügt sie hinzu, ehe sie es erlaubt.

So existiert nun also ein Live-Mitschnitt des Urteils: Bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erhält Ewald Stadler 14 Monate bedingte Haft, sein mitangeklagter Mitarbeiter neun Monate bedingt, beides nicht rechtskräftig.

Die zwei entscheidenden Sätze ihrer Begründung: Gudenus, Strache und die anderen Belastungszeugen seien "äußerst glaubwürdig" gewesen und die Bilder durchaus als Druckmittel geeignet. (Michael Möseneder, derStandard.at, 18.06.2014)