"Wir haben erkannt, dass Spiele an erster Stelle kommen müssen" - Matt Booty, General Manager der Redmond Game Studios von Microsoft

Foto: Microsoft

Microsofts Spielkonsole Xbox One war vor einem Jahr zur Erstvorstellung noch ein in vieler Hinsicht anderes Produkt. Mit einer Immer-Online-Anbindung wollte der Konzern das Nutzererlebnis genauso "revolutionieren" wie mit der integralen Einbindung der Sensorsteuerung Kinect und Live-TV. Nach heftiger Kundenkritik wurde innerhalb der vergangenen Monate ein Kern-Feature nach dem anderen entweder auf Eis gelegt oder in der Prioritätsskala heruntergereiht. Im Rahmen der vergangenen Branchenmesse E3 sprach der GameStandard mit Matt Booty, General Manager der Redmond Game Studios von Microsoft, über Kehrtwenden, die Identität der Xbox One und die Zukunft der Plattform.   

derStandard.at: Seitdem die Xbox One vor einem Jahr angekündigt wurde, hat sich viel geändert. Wie würden Sie den Wandel der Konsole selbst beschreiben?

Booty: Das vergangene Jahr stand für uns ganz im Zeichen des Zuhörens. Unseren Fans zuhören, den Spielern zuhören und den Leuten, die bereits eine Xbox One haben. Das Feedback hatte für uns eine sehr hohe Priorität. Wir haben die Zeit auch genutzt, um uns zu fokussieren. Wir wollen, dass die Xbox die beste Plattform zum Spielen ist und wir haben immer noch das langfristige Ziel, die Xbox zum Unterhaltungszentrum fürs Wohnzimmer zu machen. 

derStandard.at: Grundlegende Funktionen des ursprünglichen Konzepts wurden aufgrund der Kundenrückmeldungen gestrichen. Und jetzt hat Microsoft auch noch Kinect aus dem Produktpaket gelöst. Was ist übrig geblieben, um die Xbox One von den Produkten der Konkurrenzen abzuheben?

Booty: Ich würde in erster Linie die Games herausstreichen, die wir hier auf der E3 gezeigt haben. Es geht immer um die Inhalte. Wir haben eine ganze Reihe von exklusiven Spielen - angefangen von der "Halo Master Chief Collection" bis "Sunset Overdrive" von Insomniac. Wir haben neun oder zehn Exclusives, die alle noch dieses Jahr erscheinen. Leute kaufen Konsolen, um zu spielen. Zusätzlich glaube ich, dass Xbox Live einen großen Unterschied ausmacht, wenn es um die Frage geht, in welchem Online-Netzwerk man spielen möchte.

derStandard.at: Ein Jahr lang hat Microsoft Kinect als die Zukunft des Interfaces beworben und Kunden wiederholt erklärt, dass der Sensor ein integraler Bestandteil des Konsolenerlebnisses sei. Jetzt, da es kein verpflichtendes Feature des Systems mehr ist (weder für Konsumenten noch für Entwickler), sehen Sie noch eine rosige Zukunft für Kinect voraus?

Booty: Ich sehe aus mehreren Gründen eine rosige Zukunft für Kinect. Kinect ist Kern der Premium-Erfahrung von Xbox One. Für Dinge wie die Sprachsteuerung oder die biometrische Erfassung zum Einloggen oder Skypen. Es werden auch weiterhin Spiele entwickelt, die Kinect zur Steuerung nutzen und solche, die Kinect-Features integrieren.

derStandard.at: Als Microsoft die Xbox One vorstellte, hieß es jedoch, dass es wichtig sei, dass Kinect mit jeder Konsole ausgeliefert wird, um eine möglichst große Nutzerbasis für die Entwickler zu haben. Jetzt ist es ein Peripheriegerät und wie jedes andere Peripheriegerät der Gefahr ausgesetzt, dass es keiner beachtet...

Booty: Das stimmt. Das ist richtig. Aber das Beste, was Kinect jetzt passieren kann ist, dass viele Konsolen auf dem Markt sind. Und wir werden Kinect zu einem späteren Zeitpunkt separat anbieten. Schritt eins ist, so viele Konsolen wie möglich auszuliefern. Eine größere installierte Basis bedeutet eine größere Chance für Kinect genutzt zu werden. Und dann wird es an uns liegen zu beweisen, dass es einen guten Grund gibt, Kinect zu kaufen. Es wird auf die Games und die Entwickler ankommen.

derStandard.at: Im Mai 2013, nach dem jahrelangen Erfolg der Xbox 360 (speziell in den USA) sah es so aus, als hätte Microsoft eine Klare Vorstellung von der Zukunft des Entertainments. Nun sieht es so aus, als hätten Sie alle einstigen Pläne verworfen, um eine traditionelle Spielkonsole zu verkaufen. Bei dieser E3-Pressekonferenz ging es sogar nur noch um Games. Sind Sie und ihre Kollegen zu der Überzeugung gekommen, dass eine TV- und breitere Medienintegration nicht das sind, was die Leute von einer Xbox wollen?

Booty: Wir haben eine große Vision davon, dass die Xbox One nicht nur eine Spielkonsole sein wird, sondern auch eine Box für all ihre Unterhaltungsformen im Wohnzimmer. Wir haben dieses Bild von einem Jahrzehnt der Unterhaltung mit Xbox One. Aber wir stehen noch am Anfang dieses Lebenszyklus. Was wir vergangenes Jahr versucht haben, war die Ordnung wiederherzustellen und wir haben erkannt, dass Spiele an erster Stelle kommen müssen. Das bedeutet nicht, dass wir die anderen Dinge verstoßen haben.

derStandard.at: Ich erinnere mich noch, als Apple zuerst das iPhone und dann das iPad herausgebracht hatte und viele Journalisten lautstark argumentierten, weshalb sie scheitern würden...

Booty: (lacht)

derStandard.at: Es sprachen damals einige Gründe dafür. Doch letztendlich hatte Apple alles gut durchdacht und damit die gesamte Industrie verändert. Weshalb ist Microsoft nicht standhaft geblieben und hat sein Ding durchgezogen?

Booty: Nun, es ist einfach, zurückzublicken und zu erkennen, dass alles einen Sinn hatte. Aber um auf Ihren Punkt einzugehen: Man will auch garantieren, dass man nicht willkürlich einer Million unterschiedlicher Stimmen nachläuft. Wir müssen smart zuhören und die Sachen abliefern, die den Spielern wichtig sind. Mit manchen Dingen, die wir anfangs vorgestellt hatten, waren wir uns selbst ein wenig voraus.

derStandard.at: In diesem ganzen Wandlungsprozess hat Microsoft immer betont, dass man die Änderungen basierend auf dem Kundenfeedback vorgenommen hat. Aber ehrlich: Hätte Sonys PlayStation 4 keine Rekordverkäufe erzielt, hätte man dann trotzdem alle lang durchdachten Pläne auf Eis gelegt, nur weil es einige kritische Stimmen gab?

Booty: Nun, Hut ab vor Sony. Sie sind stark und haben einen guten Lauf. Aber gleichzeitig ist es eine großartige Zeit für Konsolen allgemein. Wir sind alle begeistert, wie gut sich Konsolen aktuell verkaufen. Wir sind glücklich damit, wo sich die Xbox One in dieser Generation gerade befindet. Sie verkauft sich in etwa 70 Prozent schneller als die Xbox 360. Das ist ein guter Start. Und wir werden unseren Erfolg in den kommenden Monaten daran messen, wie gut unsere Spiele ankommen werden. Hätten wir besser verkaufen können, wären die Dinge anders gelaufen? Ich weiß es nicht, ich kann nicht spekulieren.

derStandard.at: Also Sie sagen, dass der Wettbewerb keine Rolle bei Ihren Entscheidungen spielte?

Booty: Nun, wir werden immer beobachten, was die anderen machen.

derStandard.at: Lassen Sie es mich anders formulieren: Bei der Etablierung einer neuen Plattform ist es doch entscheidend, dass man so viele Geräte so schnell wie möglich verbreiten kann, um nicht nur der Konkurrenz voraus zu sein, sondern auch diesen Schneeballeffekt für sich nutzen zu können. Je mehr Menschen mein Produkt besitzen, desto mehr sprechen darüber und umso flotter vergrößert sich die Installationsbasis. Ein Schnellstart kann daher von großem Vorteil sein, wenn es noch andere Mitbewerber gibt. Besteht daher nicht ein großer Druck, gleich von Anfang an ganz vorne dabei zu sein?

Booty: Sie haben recht. Jeder schaut auf den Start. Für uns entscheidend ist nun, wie sich unsere Spiele zum Weihnachtsgeschäft schlagen werden. Denn über die Spiele werden sich die Konsolen verkaufen. Und der neue Preis (399 Euro ohne Kinect statt 499 Euro mit Kinect) wird ebenso eine Rolle spielen.

derStandard.at: Der Preis spielt bekanntermaßen immer eine wichtige Rolle. Aber ich denke, die hunderten cleveren Entwickler und Strategen bei Micrsoft haben lange und sehr genau darüber nachgedacht, wie die Zukunft der Xbox aussehen wird. Eine so starke Wende, um den Preis zu drücken, wirkt hingegen wie eine sehr kurzfristige Geschäftsentscheidung. Speziell weil Microsoft immerzu betont, dass man auf den Marathon und nicht auf den Sprint abzielt.

Booty: Wir sind absolut hier für den Marathon. Das beginnt mit Phil Spencer, dem Chef von Xbox. Er ist ein Microsoft-Veteran und ein leidenschaftlicher Gamer. Wir sind Xbox verpflichtet, genauso wie unser neuer CEO Satya Nadella. Wir haben nichts über Bord geworfen, es geht jetzt nur um die richtige Reihenfolge. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 20.6.2014)