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Wie Plastik auf das menschliche Hormonsystem wirkt, wird zu wenig erforscht.

Foto: ap

Laut einem neuen Bericht, den die Health and Environment Alliance (HEAL) in Brüssel vorgestellt hat, könnten in der EU bis zu 31 Milliarden Euro Gesundheitsausgaben vermieden werden, wenn die Belastung mit hormonell wirksamen Chemikalien, den sogenannten "endokrinen Disruptoren", reduziert wird.

Diese Chemikalien, denen wir alle täglich ausgesetzt sind, kommen in Lebensmitteln, Plastik, Kosmetik- und Elektronikprodukten sowie in Pestiziden vor.

Diese Kostenkalkulation basiert auf einer Liste von Krankheiten und Gesundheitsproblemen, die aufgrund einer wachsenden wissenschaftlichen Beweislast mit endokrinen Disruptoren in Zusammenhang gebracht werden.

Empfindliche Systeme

Gesundheitsprobleme können Fortpflanzungsstörungen und Unfruchtbarkeit, Fehlbildungen des Penis und der Hoden bei Neugeborenen, Brust-, Prostata- und Hodenkrebs, Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, wie etwa Autismus oder Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS), Fettleibigkeit und Diabetes.

Viele dieser Krankheiten und Probleme nehmen rasant zu. So ist mit Ausnahme der bereits hohen Krankheitshäufigkeit in den Niederlanden und Österreich in allen EU-Ländern ein starker Anstieg von Prostatakrebs zu verzeichnen. Das gleich gilt für Brustkrebs,  insbesondere in den ost-und südeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten.

Die Prävalenz von Autismus und ADHS ist ebenfalls erschreckend hoch. Besonders gefährdet für die schädigende Wirkung von hormonell wirksamen Chemikalien ist der Fötus im Mutterleib. Die Auswirkungen zeigen sich oft erst viel später im Leben, beispielsweise durch ein erhöhtes Risiko für hormon-assoziierte Krebsarten oder niedrige Spermienzahlen bei Männern.

Wirtschaftlicher Schaden

Im Auftrag von HEAL haben der Umweltökonom Alistair Hunt von der Universität Bath, Großbritannien, und Julia Ferguson, Visiting Fellow Cranfield School of Management, Großbritannien, die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten berechnet, die mit diesen Krankheiten und Gesundheitsproblemen in Verbindung stehen.

Laut ihrer Schätzung belaufen sich diese Kosten auf 636 bis 637 Milliarden Euro pro Jahr in der EU. Diese Berechnungen basieren auf vorsichtigen Annahmen.

Da für zahlreiche hormon-assoziierte Krankheiten konkrete Daten zu den EU-Gesundheitskosten nicht verfügbar sind, könnten die tatsächlichen Kosten noch deutlich höher sein.

Unterschätzte Gefahr

Ein Teil der Kosten von hormonell bedingten Gesundheitsproblemen kann der Belastung durch endokrine Disruptoren zugeschrieben werden. Genetische Veranlagung und Lebensstil, Ernährung, Rauchen oder Bewegungsmangel, sind ein weitere wichtige Faktoren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat jedoch festgestellt, dass die "umweltbedingte Krankheitslast durch Chemikalien" mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund des Mangels an verfügbaren Daten systematisch unterschätzt wird.

Eine aktuelle Studie aus den USA schätzte, dass 1,8 Prozent der Fettleibigkeit auf endokrine Disruptoren zurückzuführen sind. Diese Analyse bezog sich jedoch nur auf einen endokrinen Disruptor - Bisphenol A - und auf eine Art der Belastung, Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen.

Immer mehr Warnungen

Es lässt sich daher begründet annehmen, dass der Anteil für die Belastung durch endokrine Disruptoren insgesamt bei etwa zwei bis fünf Prozent  liegt. Wenn endokrine Disruptoren für fünf Prozent  der hormonell bedingten Krankheiten und Problemen verantwortlich wären, wäre dies gleichbedeutend mit rund 31 Milliarden Euro Kosten pro Jahr für alle 28 EU-Mitgliedstaaten.

In den letzten zehn Jahren hat es immer mehr wissenschaftliche Studien gegeben, die einen Zusammenhang zwischen Chemikalien, die hormonell wirksam sind und Gesundheitsproblemen aufzeigen, wie beispielsweise der Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2013. Als höchste internationale Gesundheitsbehörde stellt die WHO fest, dass die Belastung durch endokrine Disruptoren eine "globale Bedrohung" darstellt.

Warnung von Non-profit-Orfanisationen

Helmut Burtscher, Umweltchemiker der heimischen Umweltschutzorganisation Global 2000, sagt: "Allein diese ökonomischen Argumente verdeutlichen, dass das Vorhaben der Europäischen Union, hormonell wirksame Chemikalien durch die Chemikalienverordnung REACH und die EU-Pestizidverordnung gesetzlich zu regulieren bzw. bestimmte Anwendungsbereiche ganz zu verbieten, richtig und notwendig war. Das menschliche Leid, das mit den genannten Erkrankungen verbunden ist, ist hier noch gar nicht mitgerechnet."

Genon K. Jensen, Geschäftsführerin von HEAL, ergänzt: "Hormonell wirksame Schadstoffe gelangen in unseren Körper und stören dort das hormonelle Gleichgewicht. Die EU sollte den Schutz der Gesundheit an erste Stelle setzen und einen Verwendungsstopp dieser Chemikalien beschließen. Schnelles Handeln könnte Leid und volkswirtschaftliche Kosten vermeiden."

 Zahlen für Österreich

Der HEAL Bericht schätzt, das hormonbedingte Krankheiten in Österreich bis zu 11 Milliarden Euro pro Jahr kosten könnten. Falls 5 Prozent der Gesamtkosten in Verbindung mit der Belastung durch endokrine Disruptoren stehen, wären dies etwa 540 Mio. Euro jährlich.   

HEAL und GLOBAL 2000 fordern die Überarbeitung aller EU-Gesetze, um die menschliche Belastung durch endokrine Disruptoren zu reduzieren. "Die EU muss endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und die Kriterien zur Charakterisierung und Identifizierung hormonell wirksamer Pestizide liefern, ohne die die gesetzlich bereits festgelegten Verbote nicht wirksam werden können!" konkretisiert Burtscher.

Erste Awareness-Erfolge

Während die Wissenschaft in zunehmendem Maße die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der endokrinen Disruptoren aufzeigt, haben einige EU-Länder bereits Maßnahmen ergriffen, um die Verwendung von endokrinen Disruptoren einzuschränken.

Schweden möchte jetzt gegen die Europäische Kommission klagen. Frankreich drängt ebenfalls auf dringend notwendigen Maßnahmen.

Die EU hat bereits einige Regulierungsmaßnahmen bezüglich der endokrinen Disruptoren ergriffen, basierend auf dem Vorsorgeprinzip.

Ein Beispiel dafür ist das seit 2011 bestehende Verbot der Verwendung von Bisphenol A in Kunststoffflaschen für Babys. Österreich hat darüber hinaus Bisphenol A auch in Babyschnullern verboten. (APA, derStandard.at, 18.6.2014)