Er kommt also nach Wien. Seine Rede wird wohl "deftig" werden, wie einige österreichische Regierungsmitglieder am Dienstag befürchteten. Es ist natürlich nicht schön, wenn da einer kommt und Wahlkampf mit Sticheleien macht. Freilich ist es jetzt ein bisschen spät, sich vor Recep Tayyip Erdogan zu fürchten.

Für den türkischen Premier wird der Auftritt in Wien, ebenso wie jener in Köln, wohl ein Heimspiel - trotz Gegendemos. Immerhin haben Erdogan und seine AKP als Erste die politische Kraft der türkischen Diaspora erkannt und schon vor einem Jahrzehnt gezielt begonnen, um Anhänger unter den Auslandstürken zu werben.

Dass er dabei seine konservativen Werte predigt, dass er ein verstaubtes Familienbild und ein problematisches Verhältnis zu Freunderlwirtschaft und Nepotismus pflegt, ist nicht das Kernproblem. Das kennen wir auch von österreichischen Politikern. Aber Erdogan wäre nicht Erdogan, würde er nicht der populistischen Versuchung erliegen, in beiläufig dahingesprochenen Nebensätzen einen "Wir gegen die anderen"-Diskurs zu führen. Er suggeriert dabei, dass die westlichen Mehrheitsbevölkerungen die Türken ohnehin nie akzeptieren werden - daher sollten diese tunlichst unter sich bleiben und ihr Türkentum zelebrieren.

Jörg Haider ist mit derselben Polemik politisch groß geworden, Heinz-Christian Strache hat es ihm nachgemacht - beide mit umgekehrten Vorzeichen wie Erdogan. Der Sprengstoff, der solcher Politik innewohnt, ist evident: Spaltung, nicht Einigung lautet das Motto. Toleranz hört sich für diese Herrschaften dort auf, wo sie sich kritisiert fühlen. Insofern haben Kritiker wie der grüne Bundesrat Efgani Dönmez recht, wenn sie sagen, dass Erdogan den Rechten in Europa in die Hände spiele. Auch dass solch nationalistisch aufgegockelte Politik eine immanente Gefahr darstellt, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese ist, zumindest für Europa, wahrscheinlich größer und unmittelbarer als die Gefahr, die von islamistischem Terror ausgeht.

Allerdings: Deswegen zu fordern, jeglichen Kontakt zu und jegliche Unterstützung für Moscheen und Kulturvereine zu kappen, um die konservativen Kräfte in der Türkei nicht weiter "salonfähig" zu machen, geht in die falsche Richtung. Glaubt man ernsthaft, junge Türken würden sich weniger radikalisieren, wenn der Bundespräsident kein Fastenbrechen besucht?

Das Gegenteil ist zu tun. Österreichs Politik sollte sich viel intensiver (und ernsthafter) mit den religiösen und Kulturvereinen beschäftigen, die sie zum Teil ja auch subventioniert. Und bei der Gelegenheit sollte sie auch klarmachen, dass es nicht okay ist, wenn sich vermeintlich unpolitische Vereinigungen von Politikern und Parteien vereinnahmen lassen, die Demokratie und Grundrechte nicht hochhalten. Davor müssen Österreichs Politiker aber erst verinnerlichen, dass es sich bei Türken aller drei Generationen eben nicht um Gäste, sondern um Mitbürger handelt, die Respekt, gleiche Rechte und gleiche Chancen verdienen. Hätte man Türken nicht jahrzehntelang als Mitbürger zweiter Klasse behandelt, müsste man sich jetzt nicht vor dem "Spaltpilz" Erdogan fürchten.

Die Mehrheit der Türken in Österreich glaubt längst nicht alles, was der Herr aus Ankara verheißt. Aber die Zeit drängt. Denn das potenzielle Problem, das Populisten, Nationalisten und Demagogen darstellen, wird nicht von selbst kleiner. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 18.6.2014)