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Allein fährt er durch die Nacht, angedockt an die Welt bleibt er durch die Freisprechanlage: Tom Hardy liefert in Steven Knights Film "No Turning Back" die nuancierte Darstellung eines Mannes, der die Kontrolle über sein Leben verliert.

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Wien – Eine Limousine, die als von der Welt entkoppelte Kommandozentrale dient, das konnte man zuletzt in David Cronenbergs Cosmopolis erleben. Robert Pattinson verkörperte den Wall-Street-Insider nach einem Roman Don DeLillos, der gar nicht mehr richtig wahrnimmt, wie hinter seinen getönten Scheiben auf den Straßen New Yorks ein Krawall ausbricht, der auch das Ende seiner Existenz mit sich bringt.

Steven Knights Film Locke – unter dem Titel No Turning Back in deutschsprachigen Ländern am Kinostart – erzählt in vielerlei Hinsicht die umgekehrte Geschichte. Ein Mann, selbst hinter dem Lenkrad, unterwegs auf der Autobahn von Birmingham nach London – mehr als dieses reduktionistische Setting benötigt der Film nicht, um ein äußerst spannendes Drama zu entwerfen, in dem sich ein gesichertes bürgerliches Dasein vollkommen verkeilt.

Ivan Locke ist anders als der Broker aus Cosmopolis ein recht geerdeter Held – einer, der fest davon überzeugt ist, dass er Kontrolle über den Lauf der Dinge bewahrt und mit Ruhe und Bestimmtheit sein Ziel erreicht. Als Bauleiter von großen Immobilienprojekten gilt er als einer der besten. Doch dieses Mal läuft alles ein wenig anders. Locke hat sich eine Priorität gesetzt, die alle anderen brüskieren wird: Er fährt nach London, um dort jener Frau beizustehen, mit der er ein einziges Mal geschlafen hat und die in dieser Nacht ein Kind von ihm bekommt. Er kehrt nicht nach Hause zu seiner Frau und seinen Söhnen zurück, die ihn zu einem Fußballspiel erwarten. Er dreht auch nicht nach Birmingham um, obwohl der kommende Tag der wichtigste am Bau sein wird.

Von all dem erfahren wir als Zuschauer direkt aus der Fahrerkanzel, und das gewissermaßen in Realzeit. Das wichtigste Utensil Lockes ist die Freisprecheinrichtung, mittels welcher er einerseits seine Mitarbeiter zu beschwichtigen versucht, die angesichts seines Fernbleibens in Panik geraten – der anstehende Betontransport verlangt logistische Höchstanstrengungen. Andererseits ist er auch in privaten Angelegenheiten gefordert, denn die schwangere Frau ist nervös, verlangt seinen Zuspruch, während auf der anderen Leitung gerade seine Ehe in Brüche geht.

In seiner Ökonomie des Spannungsaufbaus sieht man dem Film an, dass Steven Knight ein erfahrener Drehbuchautor ist, unter anderem von Steven Frears’ Dirty Pretty Things und von Cronenbergs Eastern Promises (als Nächstes arbeitet er an einem Remake von Rebecca). Locke lässt er immer mehr in die Bredouille geraten. Der will mit seinem Vorgehen ein Exempel statuieren, endlich einmal eine Sache zu Ende bringen, zu einem Fehler stehen.

Doch was für ihn Rechtschaffenheit ist, das werten andere als Verrat und Vertrauensbruch. Einzig das Mittel des imaginären Rückblicks wirkt hier etwas überzogen: Als würde er in den Rückspiegel schauen, hält Locke Ansprache gegen seinen Vater. Das buchstabiert ein Verhalten aus, das als Krise einer sich souverän glaubenden Männlichkeit schon hinreichend umschrieben ist.

Krisenfreie Stimme

Selbst in diesen ein wenig linkischen Momenten des Films wirkt Knights Hauptdarsteller Tom Hardy sehr fokussiert. Den englischen Schauspieler, dessen sonore Stimme einen vollkommen krisenresistenten Klang hat, kennt man vor allem aus Rollen, in denen er seine dämonischen Seiten ausspielen konnte: als britischer Gefängnisausbruch-Rekordhalter Bronson in Nicolas Winding Refns Film und natürlich als maskierter Superbösewicht Bane, der Batman wie eine Gummipuppe aussehen ließ.

In Locke kann man Hardy in einer ungewohnt nach innen gerichteten Rolle erleben, auch leise Gesten künden von Anspannung – man achte auf das wiederholte Massieren der Bartstoppel. Überzeugend ist er in seiner smarten BMW-Fahrkapsel nicht zuletzt als Performer: Locke ist jemand, der bis zu einem gewissen Grad auch nur so tut, als wäre er souverän; als könnte er alles schaffen. Hardy lässt ihn im gelblich fluoreszierenden Licht der Nachtautobahn wie einen Lotsen erscheinen, der sich auf unbekannte Gewässer zubewegt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 18./19.6.2014)