Istanbul/Bagdad/New York - Die Zuspitzung im Irak ist dem flüchtigen Vizepräsidenten zufolge auf eine allgemeine Revolte der Sunniten zurückzuführen und nicht bloß auf die Extremisten-Gruppe ISIS. Die sunnitische Minderheit leide seit langem unter Diskriminierung, Unrecht und Korruption, sagte Tarek al-Hashemi, der als Kritiker von Premier Nuri al-Maliki bekannt und aus dem Irak geflohen ist, am Montag im Reuters-Gespräch.

Die Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) sei zwar mächtig und einflussreich, sie repräsentiere aber nicht das gesamte Spektrum. "Die Sunniten verfügen über elf oder zwölf bewaffnete Gruppen, die nun wieder aktiviert werden." Auch politische Parteien, Armeeoffiziere und Stammesführer spielten eine Rolle, sagte Hashemi, ein Sunnit.

Hashemi warnte in dem Gespräch in Istanbul zugleich, die Gewalt könne in einem regelrechten Glaubenskrieg enden. "Deshalb müssen wir unser Bestes geben, um dieses Blutvergießen zu stoppen. Das liegt in der Verantwortung eines jeden Einzelnen, aber zuallererst bei den Vereinten Nationen." Diese müssten im Irak eingreifen.

Zudem müsse der Schiit Maliki zurücktreten, weil er massiv gegen seine sunnitischen Gegner vorgehe. Maliki hatte wiederholt erklärt, er habe Extremisten der Al Kaida im Visier, nicht die Gemeinschaft der Sunniten.

Während die Sunniten bis zum Sturz von Langzeitmachthaber Saddam Hussein bei der US-Invasion im Jahr 2003 im Irak das Sagen hatten, regiert mit Maliki nun ein Vertreter der schiitischen Bevölkerungsmehrheit in Bagdad. Das sorgt unter den Sunniten für Unzufriedenheit. Diese macht sich das islamistische ISIS-Bündnis zunutze. Es rekrutiert auch ehemalige Soldaten, die die Offensive der Islamisten der vergangenen Tage maßgeblich vorantreiben konnten.

Hashemi ist einer der schärfsten Kritiker Malikis und wurde 2012 wegen Anstiftung zum Mord zum Tod verurteilt. Hashemi weist diese Anschuldigungen zurück. (APA/Reuters, 17.6.2014)