"Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit" - und auf dem Menü stand Glas: Helmut Richter, hier im Jahr 1999.

Foto: Robert Newald

Wien - "Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden", hat Helmut Richter seine Studenten an der TU Wien gelehrt, die oft stundenlang Schlange standen, um seine Vorlesungen besuchen zu können. Und den vielen Gegnern seiner gläsernen Architektur predigte er, schmutziges Glas sei immerhin durchsichtiger als Beton. Am Sonntag ist der Wiener Architekt und Hochschulprofessor Helmut Richter nach jahrelanger Krankheit - er litt unter Alzheimer - im Alter von 73 Jahren verstorben.

Richter, der 500 Diplomarbeiten betreute und eine Unzahl von Wiener Architekturschaffenden prägte, ist ein ambivalentes Kapitel. Einerseits galt er als oft griesgrämig und schwierig in der Zusammenarbeit. Viele Anekdoten zeugen davon. Er selbst sagte einmal: "Es gibt so viele Menschen, die unbeweglich sind und die dieses Halbwissen haben. Es wird Zeit, dass sie vom Architekten ruhig einmal eines auf den Deckel kriegen." Andererseits jedoch experimentierte er bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren mit neuen innovativen Materialien und katapultierte mit seinen kühnen Konstruktionen die österreichische Architektur, die zeitweise unter Identitätslosigkeit litt, ins 21. Jahrhundert.

Zu seinen wichtigsten Projekten zählen Aufstockungen, Einfamilienhäuser und Wohnhausanlagen. Den kulinarischen Hedonisten ist er als Planer der drei Wiener Restaurants Kiang (1985, 1996, 1997) ein Begriff. Stets stand Glas auf der Speisekarte. Wie immer reizte er die Möglichkeiten bis an die Grenzen aus - oft auch zum Missfallen der Bauherren.

Sein Hauptwerk ist die Haupt- und Mittelschule am Kinkplatz in Wien-Penzing, die die Architekten ins Schwärmen und die Schüler ins Schwitzen brachte: Das gesamte Gebäude samt Wänden und Decken besteht aus Glas. "Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit", so Richter. Innovationen, scheint es, kennen kein Erbarmen. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 17.6.2014)