"Bolkent in Lant von Zimbarn“ - "Willkommen im Land der Zimbern" steht auf dem Schild. Der Fremde stutzt angesichts dieses Grußes am Ortsrand von Lusern oder Luserna, wie die Italiener sagen. Man erinnert sich dunkel an den Geschichtsunterricht in der Schule, in dem die Rede von einer Niederlage war: Im Jahr 101 vor Christus siegte der römische Feldherr Marius bei einer gewaltigen Schlacht in der Poebene über die germanischen Zimbern. Danach hat man nicht mehr viel gehört von diesen Zimbern. Haben es sich deren Nachkommen also tatsächlich hier am Südrand der Alpen im Trentino gemütlich gemacht und grüßen Fremde bis heute auf Zimbrisch?

Im Kindergarten von Lusern wird Zimbrisch gesprochen, der Kirchenchor singt zimbrische Lieder, und zwei Kulturvereine in der "Kamou vo Lusérn" pflegen die alte Sprache.
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Über die Herkunft der Zimbern von Lusern ist viel gerätselt worden, gänzlich geklärt wurde sie nie. Dass das Zimbrische weitgehend der Sprache des Minnesängers Walther von der Vogelweide, also Mittelhochdeutsch, gleicht, erkannte man früh und wundert sich nicht mehr darüber, dass es gewisse Lautverschiebungen einfach nicht mitgemacht hat. Seit 1780 ist Lusern jedenfalls die einzige rein zimbrischsprachige selbstständige Gemeinde der Welt.

Zimbrisch im Kindergarten

Viele kommen heute in das knapp 300 Einwohner zählende Dorf auf 1.333 Meter Seehöhe, weil sie die isolierte Sprachinsel als solche interessiert. Dabei musste die Schule in Lusern schon vor Jahren geschlossen werden, die Luserner Kinder erhalten aber immerhin im Nachbarort Lavarone auf freiwilliger Basis Unterricht in ihrer zimbrischen Muttersprache. Im Kindergarten wird nur Zimbrisch gesprochen, der Kirchenchor singt zimbrische Lieder, und zwei Kulturvereine der "Kamou", also der Gemeinde, pflegen die alte Sprache. Mit finanzieller Unterstützung der Landesregierung entstand im Dorf zudem ein zimbrisches Kulturinstitut mit Bibliothek und Museum.

Die Ruinen des Kommandostandes der Österreichisch-Ungarischen Armee in der Gegend Altipiani di Folgaria, Lavarone und Lusern liegen nahe der Straße, die von Chiesa nach Virti führt. 
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Sieben Festungen um das Dorf

In einem Gedenkjahr wie 2014 kann man aber auch über Einträge aus der jüngeren Geschichte auf Lusern stoßen: Als Italien im Mai 1915 in den Ersten Weltkrieg eintrat, lag der Ort unmittelbar an der Grenze zwischen Italien und Österreich-Ungarn. Die Reste von sieben Festungen um das Dorf erinnern bis heute an die erbitterten Kämpfe entlang der Trentino-Veneto-Front. Außer dem einstigen österreichisch-ungarischen Zollhaus gibt es in Lusern seither kein altes Gebäude mehr. Ein Filmteam rund um den italienischen Regisseur Ermanno Olmi arbeitet vor Ort gerade daran, die Geschehnisse aufzuarbeiten und in bewegte Bilder zu packen.

Unübersehbare Zeichen

Die Ruine der Festung Lusern ist heute in den rund 500 Kilometer langen Friedensweg einbezogen, der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts entlang der bis 1919 geltenden österreichisch-italienischen Grenze angelegt wurde. Er verläuft auf teilweise halsbrecherisch anmutenden einstigen Militärsteigen. In die Felsen getriebene Kavernen, Schießscharten und gigantische Sprengkrater sind immer wieder entlang dieses Weges zu sehen. Das Projekt Friedensweg als unübersehbares Zeichen der Versöhnung wurde von Anfang an gut angenommen.

Auf dem Vezzena-Pass ist längst Gras über die Wunden des Ersten Weltkriegs gewachsen. Gut für die Kühe, die vor der Ruine der Festung Verle wiederkäuen.
Foto: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AForte_Verle_passo_Vezzena_01.jpg; von Ago76 (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons vom Wikimedia Commons

Kühe vor bizarrer Ruine

Die gute Erschließung der idyllischen Hochebene von Lavarone für Wanderer und Mountainbiker zieht überdies eine nicht ausschließlich historisch interessierte Klientel an. Aber selbst wer über den Vezzena-Pass mit dem Rad aus rein sportlichen Motiven nach Lusern kommt, wird wieder auf Spuren des Krieges stoßen. Allerdings grasen heute Kühe vor der bizarren Ruine des ehemaligen Festungswerkes Verla.

Transportweg für militärisches Material

Auch die andere Möglichkeit, zu den Zimbern zu gelangen, hat mit dem Großen Krieg zu tun. Doch gerade auf der "Kaiserjägerstraße", einem ehemaligen Transportweg für militärisches Material, denkt heute wohl kaum jemand daran. Der Panoramablick über das Valsugana-Tal ist zu atemberaubend. (Christoph Wendt, Album, DER STANDARD, 14.06.2014)