Festwochen-Schauspielchefin Frie Leysen verlässt Wien nach ihrer ersten - sehr erfolgreichen - Saison.

Foto: Heribert Corn

Wien - "Hope" heißt die Lieblingszigarettenmarke von Frie Leysen. Hoffnung, dass die wunderbare Theatermacherin länger als diese vergangene Wiener Festwochensaison bleiben wird, besteht nicht. Schon im September 2013 gab sie ihren Rückzug bekannt. Warum, will sie vor Ende Juni nicht sagen. Nur so viel: "Vielleicht habe ich eine fundamental andere Idee, was ein Festival sein sollte. Wenn man keine gemeinsamen Visionen hat und dies auch nicht diskutieren kann, beginnt man über Kleinigkeiten zu streiten."

STANDARD: Wie fällt Ihr Vergleich mit anderen Theaterfestivals aus?

Leysen: Alle Festivals, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, Avignon, Holland Festival, Edinburgh, auch Wien, sind 70 Jahre alt - und verrostet. Ich glaube nicht, dass sie zu retten sind - es sei denn, man hat den Mut, Tabula rasa zu machen und radikal neu zu denken. Es gibt eine Upperclass von Theaterhäusern, die miteinander koproduzieren. Aber 95 Prozent der Künstler arbeiten frei, ich glaube nicht, dass die Reichen einander mit Geld unterstützen müssen.

STANDARD: Was erachten Sie als wesentliche Festival-Aufgaben?

Leysen: Es muss die Zeit und die Welt, in der wir leben, reflektieren. Die Künstler verfolgen scharfe künstlerische Visionen und entwickeln eine akzentuierte Sprache; diese unterschiedlichen Vorstellungen prallen bei einem Festival aufeinander - eine Einladung ans Publikum, Klischees zu hinterfragen. Festivals müssen stören. Das muss nicht schwer und dunkel sein, sondern kann mit Humor, mit Schönheit geschehen.

STANDARD: Haben Sie bei der Planung das Publikum im Hinterkopf?

Leysen: Ich habe die Stadt und das Land im Kopf. Ich hasse es, wenn Kollegen sagen: Das ist nichts für mein Publikum. Dann denke ich mir: Wer ist dein Publikum? Ein monolithischer Block? Ich versuche, ein Programm komplementär zu dem zu entwickeln, was in der Stadt schon vorhanden ist, also Löcher in einem Kunstfeld zu stopfen. Wenn etwas gut ist, ist es überall gut. Mir ist wichtig, wie die einzelnen Produktionen zusammenhängen; dass am Ende Dinge herauskommen, die man von vornherein gar nicht geplant hat: Themen wie etwa Leid, Langsamkeit, Tod, Tabus unserer Gesellschaft wie Inzest. Und dass ähnliche Geschichten einmal als große Oper erzählt werden und einmal als kleine, bescheidene Produktion. Wie Romeo Castelluccis "Orfeo ed Euridice" und Rabih Mrouets "Riding on a cloud"; oder "Bluthaus" von Georg Friedrich Haas und Händl Klaus und Béla Pintérs "Titkaink".

STANDARD: Sie haben auf Startheater eher verzichtet. Warum?

Leysen: Die großen Namen kennen wir, die sind überall präsent. Wir müssen die nächste Generation aufspüren, Künstler, die nicht im Fokus stehen. 14 Kongolesen im Burgtheater, dem Weihetempel des deutschsprachigen Theaters, fand ich großartig. Ein Festival ist im Idealfall eine Reise durch die Welt, ohne die Stadt zu verlassen.

STANDARD: "Coup Fatal", "Die Neger", "Macbeth", "The Marrabenta Solos": Viele Reisen führten auf verschiedenen Routen nach Afrika.

Leysen: Weil ich die Kolonialgeschichte immens wichtig finde. Wir müssen uns damit auseinandersetzen - das taten wir aus der Sicht der Kolonialisten, etwa mit "Die Neger", und aus der Sicht der Kolonialisierten.

STANDARD: Regisseur Johan Simons hat für "Die Neger" ziemlich schlechte Kritiken bekommen. Wie fanden Sie die Aufführung?

Leysen: Wenn man heute über Rassismus spricht, gibt es interessantere Literatur. Die Frage ist, ob man diesen altmodischen Text noch spielen soll. Ganz anders habe ich es bei Brett Bailey empfunden. Für ihn war es ein Anliegen, mithilfe des "Macbeth"-Stoffes über den Kongo zu reflektieren. Die Inszenierung entstand aus einer Dringlichkeit und nicht aus einer guten Idee. Ich hasse gute Ideen! Was ich auch nicht mag, ist die übliche koloniale Arbeitsweise: Geist und Intellekt kommen aus Europa, die Körper und Muskeln aus Afrika. Das ist es bei "Macbeth" nicht. Und auch Alain Platel hat für "Coup Fatal" mit den afrikanischen Künstlern auf Augenhöhe gearbeitet, sie sind Co-Autoren des Stückes.

STANDARD: Was empfinden Sie heuer als besonders gelungen?

Leysen: Die Kohärenz des ganzen Programms. Ich reise viel, sehe viel. Aber ich weiß auch: Ich habe viele Künstler nicht gesehen. Mein Programm ist nicht State of the Art. Es ist, was es ist: Ich bin Künstlern begegnet, von denen ich wollte, dass sie auch das Wiener Publikum kennenlernt.

STANDARD: Wissen Sie schon, was Sie nach Wien machen werden?

Leysen: Nein. Nach Ende eines Festivals fällt man immer in ein schwarzes Loch. Das ist diesmal besonders tief.

STANDARD: Wie bekämpfen Sie Ihre Existenzängste?

Leysen: Gute Frage. Ich weiß es nicht. Normalerweise durch die Arbeit. Das geht diesmal nicht. Das wird ein bisschen tough sein, glaube ich. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 16.6.2014)