Fieberhaft überlegt die Obama-Regierung, wie sie der Regierung in Bagdad helfen kann, den Vormarsch der Islamisten zu stoppen. Aber die Chancen für eine neuerliche Intervention sind äußerst gering.

Nicht nur, weil die Bereitschaft zu Militärabenteuern in den USA völlig verflogen ist. Die Geschehnisse im Irak machen deutlich, dass die Supermacht kaum noch in der Lage ist, politische Entwicklungen in fernen Ländern in ihrem Sinne zu steuern.

Das liegt nicht etwa an der Zögerlichkeit ihres Präsidenten oder den Kürzungen im US-Rüstungsbudget. Die Welt hat sich seit Ende des Kalten Krieges so verändert, dass äußere Mächte zwar Kriege auslösen, aber sie nicht beenden können. Die Vorstellung der USA als wohlwollende Hegemonialmacht, die Ordnung schafft, wo die lokalen Akteure scheitern, ist vor allem, aber nicht nur in der unruhigen islamischen Welt überholt.

Beispiel Irak: Sollen die USA etwa aufseiten des Iran eingreifen, um einen Premier zu stützen, der alles dazu tut, um das Land zu spalten? Washington stünde dann aufseiten des syrischen Diktators Bashar al-Assad, den zu bekämpfen Obama noch vor kurzem überlegt hat. Wenn es – vereinfacht gesagt – vor lauter Bösen keine Guten mehr gibt, dann haben die USA keine Partner und ihre Außenpolitik keine Handhabe.

Dazu kommt, dass Interventionen nur selten ihren Zweck erfüllen, ja oft eine gegenteilige Wirkung zeigen. Im Nachhinein wird gerne die Vorgangsweise der USA dafür verantwortlich gemacht. Aber ein Rezept, mit dem in Afghanistan, im Irak, in Libyen oder in Syrien mit militärisch-politischen Mitteln Stabilität und Nationenbildung gelingen kann, hat auch keiner der Kritiker – egal aus welcher politischen Ecke – parat. Selbst im israelisch-palästinensischen Konflikt ist es offensichtlich, dass die USA bei allen Bemühungen ihres Außenministers nichts ausrichten kann, wenn die Gegner nicht wollen. Aber ohne erfolgsversprechender Strategie wird jede Handlung in der Krise zum Vabanquespiel, das öfter schief geht – siehe Irak-Invasion – als es gelingt.

Die strukturellen Hürden für die US-Außenpolitik existieren auch anderswo. Im Konflikt Russland/Ukraine existiert keine vernünftige militärische Option. Und den finanziellen Druck, mit dem Wladimir Putin die Kosten seiner Aggressionspolitik bewusst gemacht werden sollte, können nur die Europäer mit ihren viel engeren wirtschaftlichen Verflechtungen herstellen.

Am ehesten üben die USA ihre traditionelle Führungsrolle noch in Ostasien aus, als Gegengewicht gegen ein zunehmend expansionistisches China. Aber selbst dort sind sie darauf angewiesen, dass ihre Verbündeten an einem Strang ziehen. Wenn Japan mit einer revisionistischen Geschichtsschreibung die anderen westlichen Partner ständig vor den Kopf stößt, dann schrumpft auch Washingtons Fähigkeit, Peking einzudämmen.

Die schwindende Macht der USA macht den Ruf von Konservativen nach Interventionen im nationalen Interesse genauso obsolet wie das linksliberale Ideal einer Weltgemeinschaft, die Menschenrechtsverstöße und Völkermord verhindern kann. Auch die EU mit ihrer „soft power“ kann dort, wo Staaten scheitern, wenig bewirken. Andere Länder müssen in Zukunft kaum noch missglückte westliche Interventionen fürchten. Aber sie sollten auch wissen: Sie sind mit ihrem Unglück auf sich allein gestellt. (Eric Frey, DER STANDARD, 16.6.2014)