Zu einer Krise mit politischen und militärischen Dimensionen entwickelte sich über das Wochenende die mutmaßliche Entführung von drei israelischen Religionsschülern. Sie wollten in der Nacht auf Freitag im südlichen Westjordanland anscheinend per Anhalter nachhause kommen und sind seither verschwunden.

Zwei der Vermissten, von denen einer auch die US-Staatsbürgerschaft haben soll, sind 16, der dritte ist 19 Jahre alt. Großangelegte Such- und Verhaftungsaktionen von Israels Armee, Polizei und Geheimdienst zielten darauf ab, Informationen zu beschaffen. Zugleich sollte verhindert werden, dass die Entführten in den Gasastreifen verschleppt werden.

Rund 100 Palästinenser sollen festgenommen worden sein, darunter zahlreiche Funktionäre der radikalislamischen Hamas. Laut israelischen Medien gab es Erwägungen, Reservisten zu mobilisieren. Die Situation erinnerte an die Entführung des Soldaten Gilad Schalit, der 2011 nach mehr als fünf Jahren in Gefangenschaft der Hamas im Tausch gegen 1027 palästinensische Häftlinge freikam.

"Schlimme Folgen"

Beim Ministerrat am Sonntag beschuldigte Premier Benjamin Netanjahu erstmals ausdrücklich die Hamas: "Diejenigen, die die Entführung unserer Burschen durchgeführt haben, sind Hamas-Leute, "und das wird schlimme Folgen haben". Netanjahu wies erneut darauf hin, dass Palästinenserpräsident Mahmud Abbas jüngst eine Einheitsregierung eingesetzt hat, die von der Hamas mitgetragen wird. Schon tags zuvor hatte Netanjahu gesagt, dass das Bündnis von Abbas mit den Islamisten "schlimme Ergebnisse" habe - aus israelischer Sicht trage Abbas die Verantwortung für das Schicksal der Jugendlichen.

Die Hamas reagierte zunächst nicht. Auch von Abbas gab es vorerst keine offizielle Stellungnahme. Aus seinem Umfeld hieß es, die Palästinenserbehörde sei nicht betroffen, weil die vermutete Entführung auf israelisch kontrolliertem Territorium erfolgt sei. Israelische Sprecher erwiderten, die Entführung sei offensichtlich vom Autonomiegebiet aus organisiert worden. Abbas war im Dilemma, weil seine Polizei einerseits mit Israel kooperiert, andererseits aber schwer gegen den Koalitionspartner Hamas vorgehen kann.(Ben Segenreich aus Tel Aviv, DER STANDARD, 16.6.2014)