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Die Waffen des Klans von Zemun, beschlagnahmt von der spanischen Polizei im Jahr 2003.

Foto: apa/Fernando Alvarado

Zwei Männer dringen in eine Wohnung in Belgrad ein, schießen der Frau, die dort mit ihrem kleinen Sohn wohnt, in die Leber, weil sie im Bosnienkrieg gelernt haben, dass man mit einer durchschossenen Leber lange genug lebt, um ein Geldversteck zu verraten.

Als die Inspektoren der Belgrader Kriminalpolizei jedoch fragen, warum sie den 13-jährigen Sohn der Frau erschießen, antwortet einer der jungen Kriegsheimkehrer lakonisch und ohne zu zögern: „Scheiß auf ihn, er hätte doch in der Schule sein sollen!“

Danach herrscht im Vernehmungszimmer minutenlanges Schweigen, weil selbst die hartgesottenen Kriminalpolizisten eine Aussage wie diese nicht erwartet haben. Zu diesem Zeitpunkt besteht in Serbien noch die Todesstrafe für Kapitalverbrechen dieser Art, sodass die beiden Mörder nach der Urteilsbestätigung durch den Obersten Gerichtshof vor einem Erschießungskommando ihre kurze und blutige Laufbahn als Verbrecher beenden.

Weißes Buch, schwarze Zeit

Das „Weißbuch der organisierten Kriminalität“, herausgegeben von der Sicherheitsdirektion Serbiens, listet 118 organisierte Gruppen mit 541 Mitgliedern und 205 „selbstständige“ Täter auf, die sich mit kriminellen Handlungen allerschwerster Art beschäftigen. Allein auf dem Territorium der Stadt Belgrad sind 13 Gruppen mit 76 Mitgliedern tätig. Kleine Betrüger, Hühnerdiebe und „Taschlziager“ werden gar nicht erst mitgerechnet, weil dann das „Weißbuch“ so dick wäre wie die Bibel.

Doch im Schatten der mächtigen Gangsterklans, die in den späten 1990ern die „Szene“ beherrschen, tummeln sich in Serbien zahlreiche Einzeltäter und Kleingruppen. Ihr Kerngeschäft sind Raubüberfälle, Entführungen, Erpressung und alles andere, das den organisierten Großbanden einfach zu mickrig ist, um als Einnahmequelle zu dienen.

Die Opfer sind oft die schwächsten Bewohner des durch Krieg und Kriminalität verarmten Landes. Die Welle der Entführungen beispielsweise betrifft Kinder und Jugendliche, Pensionisten, alleinerziehende Mütter und eben jeden, der sich nicht wehren kann oder durch Beziehungen „nach oben“ geschützt ist. „Hochwertige“ Entführungsziele, meist frischgebackene Geschäftsleute, bleiben weiterhin die Domäne der großen Klans.

Die nichtorganisierten Einzeltäter und kleinen Banden haben es nicht schwer, „Werkzeug“ zu beschaffen, weil man zu dieser Zeit in Serbien für wenige hundert D-Mark so gut wie jede Waffe samt Munition kaufen kann. Das „Personal“ steht ebenfalls massenweise zur Verfügung, weil tausende junge Männer arbeitslos, perspektivlos und oft drogensüchtig, nur auf eine Gelegenheit warten, schnelles Geld zu machen. Manche Entführungsopfer werden bis nach Istanbul verschleppt, um aus der Reichweite der serbischen Polizei versteckt gehalten zu werden, und viele werden trotz Bezahlung des Lösegelds ermordet, weil sie die Gesichter der Entführer kennen - Erpressungsopfer werden aus demselben Grund bei der Geldübergabe beseitigt.

So versinkt ganz Serbien jahrelang in einem Albtraum aus Blut und Tränen, die schiere Anzahl der Verbrechen lässt die unterbezahlte und politisch demontierte Kriminalpolizei machtlos zurück. Wer es sich leisten kann, montiert eine Sicherheitstüre und meidet Kontakt mit Unbekannten. Ein ganzes Land zieht sich in die Wohnzimmer zurück und wartet auf ein besseres Morgen. Bis heute.

Meine Gegend, meine Kumpel, mein Klan

Ganz wie die Mafia in New York teilen sich die Gangs einzelne Portionen des Kuchens - je nachdem, in welchem Stadtbezirk sie ihre Zentrale haben. Den Kern bilden immer einige „boys from the hood“, junge Männer die in einer Gegend zusammen aufwachsen und übereinstimmende Ansichten vom Leben, wie es sein soll, haben. Dort behaupten sie sich zunächst gegen andere heftige Jungs, bilden taktische Allianzen und schmelzen dann zu einem Klan zusammen. Die beiden gefährlichsten Gruppen, die so entstehen, sind der Klan von Zemun (Semlin) und der Klan von Surčin, einer Kleinstadt nahe der Hauptstadt, dem Standort des internationalen Flughafens von Belgrad. Daneben existieren noch große Banden in den Stadtteilen Novi Beograd, Bežanijska Kosa, Voždovac und Dorćol.

Wenn sie gerade keine Rechnungen untereinander begleichen, kooperieren sie bei ihren diversen Tätigkeiten, wie überall auf der Welt. So haben manche Banden Kontakte nach Kasachstan, Südamerika, zur Türkei, nach Albanien, Griechenland und selbstverständlich, auch mitten in den Balkankriegen, zu Banden in Kroatien, Bosnien, Mazedonien und dem Kosovo. Die Ironie besteht darin, dass ausnahmslos alle serbischen Verbrecher sich als große Patrioten und große Gläubige empfinden. Manche, wie beispielsweise Arkan oder Aleksandar Golubović, tragen kiloschwere orthodoxe Kreuze um den Hals, wenn sie öffentlich auftreten.

Der bisher letzte Chef des Klans von Zemun, Sretko Kalinić, genannt "das Biest", und einige Mitglieder seines Klans verstecken sich sogar mehrere Jahre lang mitten in Zagreb. Bis ihnen eine interne Abrechnung um eine Frau, ausgetragen mit Pistolen, zum Verhängnis wird.

"Biest", "Trottel" und "das Bonbon"

Ihre Spitznamen bekommen Gangster manchmal schon in Kindertagen, erben sie von ihren Vätern oder „erwerben“ sie später durch ihre Charaktereigenschaften, ihr Spezialgebiet oder die Art und Weise, wie sie handeln. Für die Polizei sind diese Pseudonyme genauso wichtig wie die Klarnamen der Kriminellen. Manchmal weiß ein Zeuge oder ein gefasster Mittäter nur, wie man einen Gangster auf der Straße nennt. Deswegen führen die Dossiers der Polizei immer auch alle bekannten Spitznamen im Akt.

Željko Ražnatović wird in seiner Jugend „Hybrid“ genannt, weil er mit Anabolika versucht, sein Übergewicht in Muskelmasse zu verwandeln. Wer ihn später jedoch so nennt, läuft Gefahr, auf der Stelle erschossen zu werden. Seinen endgültigen Spitznamen „Arkan“ erhält er nach dem Zauberer Arkanus, einer Comicfigur, die er liebt. Milorad Luković "Legija" wird in seiner Jugend "Cema" genannt, weil er selbstgefertigte Gewichte aus Zement stemmt. Warum er damals auch "Bolid" genannt wurde, ist bis heute unklar.

Hier ist eine kleine Liste mit den Spitznamen der bekanntesten Gangster Serbiens und ihrer Herkunft.

Sretko Kalinić: "Zver"

"Das Biest" oder „die Bestie“ beschreibt genau seinen Sadismus bei der Beseitigung seiner Opfer, die er mit großer Freude bestialisch foltert, bevor er sie tötet. Eines seiner zahlreichen Opfer soll er lebendig begraben haben, ein anderes durch den Fleischwolf gedreht haben.

Mile Djordjević: "Bonbona"

Arkans Trauzeuge hat immer und überall eine Packung Bonbons dabei.

Vladimir Milisavljević: "Budala"

Den Spitznamen "Trottel" bekommt er angeblich, weil er auf der Belgrader Uni inskribiert. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass er bei einer Aktion gehandelt hat wie ein Trottel.

Željko Milovanović: "Letač" oder "Vetar"

Die Pseudonyme "Flieger" und "Wind" bekommt Milovanović, weil er mit einem Motordrachen nahe der kroatischen Grenze fliegt, um zu sehen, ob seine gestohlenen Autos die Grenze passieren. Die Legende will, dass Milovanović bei einem seiner Flüge auf Soldaten der UNPROFOR gepinkelt hat.

Miladin Suvajdžić: "Djura Mutavi"

Viele glauben, dass "Georg der Stumme" tatsächlich stumm ist, weil er so gut wie nie redet.

Dušan Spasojević: "Šiptar"

"Der Skipetare" (Albaner) bekommt Spasojević, weil er auf dem Kosovo geboren ist und sein wichtigster Geschäftspartner im Drogenschmuggel ein Klan aus dem Kosovo und Albanien ist.

Das sind nur einige wenige und bekannte Spitznamen von Gangstern. Der Fantasie sind auf diesem Gebiet keine Grenzen gesetzt. Ratte, Rasierklinge, Vorschlaghammer und diverse Namen großer amerikanischer Gangster wie Al Capone oder Bugsy Siegel oder auch Kampfsportler wie Ilija Jorga finden ihren Eingang in die Hagiografie der serbischen Gangster.

Aus rechtlichen Gründen muss ich leider den Teil über die Parteiarmee des radikalpatriotischen Politikers Vojislav Šešelj ausfallen lassen, weil sein Prozess in Haag noch läuft. Die Freiwilligengarde, die dem Umfeld des nicht ganz so radikalen Patrioten Vuk Drašković zugeordnet wird – auch das sei aus juristischen Gründen gesagt – geht nicht auf die Initiative dieses Politikers und seiner Partei zurück – bis ein etwaiger Gerichtsprozess das Gegenteil beweist.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei meinen Lesern für das große Interesse und bitte alle, die der Meinung sind, ich sollte ein Buch darüber schreiben, dies per Posting und/oder auf meiner FB-Seite kundzutun. So lassen sich Sponsoren bewegen, Kohle lockerzumachen!

Einen schönen Sommer wünscht euch Bogumil Balkansky, von dem ihr wie gewohnt in Kürze hier weitere Texte zu lesen bekommt!