Der Präsident hält sich bedeckt. In den nächsten Tagen wolle er eine Entscheidung treffen, kündigt Barack Obama an, als er im Rosengarten des Weißen Hauses auf Reporterfragen antwortet. Er werde entscheiden, ob er amerikanisches Militär einsetze, um der irakischen Regierung zu Hilfe zu kommen. Sein Sicherheitsteam habe er angewiesen, eine Reihe von Optionen vorzubereiten, eine Entsendung von Bodentruppen sei allerdings ausgeschlossen. „Wir schicken keine US-Soldaten zurück in den Kampf im Irak.“

Im Klartext heißt das: Weißes Haus und Pentagon denken an Luftschläge gegen die vorrückende Islamistentruppe ISIS, entweder durch unbemannte Drohnen oder pilotengesteuerte Jets. Die Regierung Nuri al-Malikis, betont Obama, müsse an einem „politischen Plan“ arbeiten, wenn sie Unterstützung erwarte. Fast klingt es nach einem Junktim: Erst wenn der schiitische Premier auf die frustrierten Sunniten zugeht, springt ihm Washington bei. Was immer Amerika tun werde, „die Leute sollten nicht erwarten, dass dies etwas ist, was über Nacht passiert“, mahnt Obama zur Geduld.

Umso ungeduldiger diskutiert der Kongress. Im Grunde ist es derselbe Diskurs, wie er den Militäreinsatz an Euphrat und Tigris spätestens seit 2004 begleitete, als der Irak ins Bürgerkriegschaos driftete und auch jene Demokraten, die George W. Bush anfangs grünes Licht für die Invasion gaben, auf einen raschen Abzug drängten. Heute betonen sie, es könne nicht Amerikas Aufgabe sein, Feuerwehr zu spielen und einen Brand zu löschen, den ein neuer Diktator in Bagdad angefacht habe. Indem al-Maliki ebenso autokratisch wie kurzsichtig auf Kosten der sunnitischen Minderheit regierte, statt sie einzugliedern, habe er überhaupt erst ein Klima geschaffen, in dem die fanatischen Sunniten der ISIS Fuß fassen konnten.

„Wir sind nicht der Sheriff der Welt, wir können nicht überall sein“, sagt Joe Manchin, ein Senator aus West Virginia, in seiner Partei eher rechts angesiedelt. Hillary Clinton legt al-Maliki nahe, endlich Kompromisse mit den frustrierten Sunniten anzustreben – dies sei der Kern jeder Lösung. Nancy Pelosi wiederum, einst Vorsitzende des Repräsentantenhauses, lehnt jegliche bewaffnete Aktion in Bausch und Bogen ab. Nach dem von Bush verursachten Desaster noch einmal im Irak einzugreifen, „das ist einfach keine gute Idee“, warnt die Kalifornierin. „Denn was kommt als Nächstes?“

Anders die Republikaner. Sie nutzen die Gelegenheit, um Obamas Riege einmal mehr eine stümperhafte Außenpolitik vorzuwerfen, ein schlechtes, ja, schläfriges Krisenmanagement. „Der Präsident sagt, er schließe nichts aus. Ist das eine Strategie? Ist das die Art, mit der man ISIS Paroli bietet?“, wettert John McCain, der führende Falke des Senats, und verlangt, den sicherheitspolitischen Beratern des Weißen Hauses ausnahmslos den Stuhl vor die Tür zu setzen. Man habe das Problem seit zwölf Monaten kommen sehen, sekundiert John Boehner, der Speaker der Abgeordnetenkammer. „Und was tut der Präsident? Er hält ein Nickerchen.“ Obama habe überhastet zum Rückzug geblasen und damit fahrlässig aufs Spiel gesetzt, was unter großen Opfern erreicht worden sei, nicht zuletzt durch die Truppenaufstockung des Jahres 2007, die vorübergehend Ruhe einziehen ließ.

In Wahrheit war der Abzugstermin, Dezember 2011, noch vom Kabinett Bush ausgehandelt worden. Was die Regierung Obama nicht durchsetzen konnte, war ein „Status of Forces Agreement“, eine Vereinbarung, nach der keiner der 2500 GIs, die bleiben sollten, im Falle einer Straftat vor ein irakisches Gericht gestellt worden wäre. Obama, monieren wiederum dessen Kritiker, sei nicht unglücklich gewesen über das Scheitern der Gespräche, habe er so doch einen dicken Schlussstrich unter das leidige Irak-Kapitel ziehen können. Hätte er sich dahintergeklemmt, wäre wohl noch heute ein amerikanisches Restkontingent im Zweistromland stationiert, de facto erfahrene Militärberater auf Schlüsselposten. „Obama hat Druck gemacht, aber nicht so viel Druck, wie vielleicht möglich gewesen wäre“, resümiert James Jeffrey, der die USA in der Endphase der Verhandlungen als Botschafter in Bagdad vertrat. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 14.6.2014)