Zukunft im altmodischen Design: Österreich hinkt in Sachen Digitalisierung Ländern wie Estland und Deutschland hinterher.

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P. A. Bruck: Österreich gerät ins Hintertreffen.

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Nachdem das Doppelbudget im Parlament verabschiedet wurde, kann sich die Regierung nun den Hauptaufgaben ihrer verbleibenden viereinhalb Jahre widmen: Strukturreformen und die Steuerreform werden zu Recht heftig diskutiert.

Für beide fehlt ein wichtiges Element, das auch den Schlüssel zum Erfolg birgt: ein genaueres Verständnis von IT (Informationstechnologie) und KT (Kommunikationstechnologien). Bundeskanzler und Vizekanzler täten gut daran, sich eine Auszeit für einige Förderstunden in angewandter Informatik und Telekommunikationsökonomie zu nehmen. Das geringe Verständnis von IT und KT an der Regierungsspitze findet sich schon im Regierungsprogramm selbst.

Blickt man nach Westen, wo die deutsche Bundesregierung viel leistet, kann man sich leicht ausrechnen, wie Österreich strukturell und standortpolitisch ins Hintertreffen gerät. Während in Deutschland erstmals ein Minister für digitale Infrastruktur angelobt wurde, wird in Österreich die Breitbandinitiative auf- und ver- und weitergeschoben. Dabei fallen zumindest zwei Dinge auf: Das Geld für diese Initiative wurde der Telekomindustrie mittels einer Auktion für neue Frequenzen erst einmal abgeknöpft, und jetzt lässt man sie um die Strukturreform monatelang betteln.

Kein guter Ansatz für Hochtechnologiepolitik, die eigentlich am untersten Ende der Komplexität angesiedelt ist. Dass Breitbandanschlüsse ein wirksamer Ausgleich zwischen den Wirtschaftsstandorten Land und Stadt sind, weiß jedes Kind. U-Bahn-Fahren kann man in Österreich nur in Wien. High-Speed-Internet würde auch den Biogasthöfen im nördlichen Waldviertel und den Schnitzern in Osttirol helfen. Die OECD-Berechnungen für den Wachstumsschub durch Infrastrukturinvestitionen liegen in allen Finanzministerien und Kanzlerämtern der Welt auf. Eine Verdoppelung der Geschwindigkeit des Internets löst 0,3 Prozent Wachstum des Bruttonationalprodukts aus.

Doch dies ist nicht das einzige digitale Versäumnis. Kanzlerin Merkel hat bei der Eröffnung der Hannoveraner Industriemesse 2012, in Anwesenheit des chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao, eine Reindustrialisierung Deutschlands und Europas verlangt. Sie hatte schon da verstanden, dass es hier nicht um Kohle, Dampf und Stahl geht, sondern um Bits, Digitalisierung und cyberindustrielle Produktion: "Die Voraussetzung, um in der modernen Industrie mithalten zu können und innovative Produkte auf den Markt zu bringen, heißt Wissenschaft, Entwicklung, Kreativität, Ingenieurswesen, Weiterentwicklung - niemals zufrieden sein, immer weitermachen und sich nicht mit Stillstand zufriedengeben."

Merkel unterstrich dies mit einem bemerkenswerten Vergleich: Die USA mögen die Apps für die Konsumenten produzieren und dabei weltweit führend sein. Deutschland und Europa sollen die Apps für die Fabriken produzieren und damit weltweit wirtschaftlich führend bleiben. Industrie 4.0 als Sammelbegriff ist in Deutschland ein schon abgenütztes Schlagwort. In Österreich müssten dazu Wirtschaftskammer oder BMVIT Fachtagungen den Boden bereiten. Dabei ist schon länger klar, dass zum Beispiel in der Automobilproduktion der Softwareanteil ca. 60 bis 80 Prozent der Wertschöpfung ausmacht.

Was für die durch Breitband vernetzten Landorte und durch cyberindustrielle Produktion transformierte Industrie gilt, kann auch auf Strukturreformen und Steuerreform angewandt werden und zu dramatischen Veränderungen führen. Hier mag Estland als Beispiel herhalten.

Seit 2002 gilt dort: "alles digital". Im Land der Skype-Erfinder hat sich nicht nur eine der bemerkenswertesten Start-up-Ökosysteme Europas entwickelt. Der Staat ist führend aufgetreten. Für den Bürger ist dies unmittelbar erlebbar. Während man in Österreich noch immer jedes Quartal persönlich ins Ärztewartezimmer pilgern muss, nur um ein neues Rezept zu erhalten, läuft dies in Estland in Minuten digital von Patient zu Arzt zu Apotheke. Kostenersparnis? Immens. In Estland Realität, in Österreich ein Albtraum zwischen Elga und E-Card.

Noch grundsätzlicher ist der Bürgerservice. Alle persönlichen Dokumente und Daten in öffentlicher Hand sind auch allen BürgerInnen selbst zugänglich. Das Bürgerportal www.eesti.ee verbindet für die NutzerInnen die unterschiedlichen Datenbanken von Behörden und öffentlichen Dienstleistungsagenturen.

Die Transparenz geht über das in Österreich Vorstellbare hinaus. Jeder Zugriff auf persönliche Dokumente durch Dritte oder eine Agentur wird dokumentiert und sichtbar gemacht. Damit wird ein Bürgerrecht auf Daten umgesetzt, das Basis für eine selbstbestimmte digitale Zukunft sein wird.

Steuerreform und Strukturreform: Wer Estland mit Österreich vergleichen möchte, kann mit der Steuerquote beginnen: 32,5 Prozent gegenüber 43,2 Prozent (http://www.oecd.org/ctp/tax-policy). Die Esten lukrieren eine digitale Dividende, während die Österreicher immer mehr draufzahlen.

Das zehrt am Selbstbewusstsein. Während der österreichische Bundespräsident kaum ein Wort zu IT, Telekommunikation oder digitaler Agenda zu sagen hat, sieht sich der estnische Präsident als Hauptpromoter von E-Estonia und spricht seine MitbürgerInnen als "E-Believer" an. (Peter A. Bruck, DER STANDARD, 14.6.2014)