Dario S. zieht es bei Fußball-Großereignissen immer in die Wiener Ottakringer Straße. "Hier kann ich mich fallen lassen, Kroatien mit anderen Fans richtig anfeuern", sagt der Familienvater. Fußball und Kroatien, das ist für den 37-Jährigen ein eingeübtes Ritual: Rot-weiße Schachbrettmuster überall, "Hrvatska“-Gesänge, bis der Hals schmerzt, das Auspfeifen des Gegners, in diesem Fall Brasilien, ein stolzes Wir-sind-die-Kroaten-Gefühl - so könnte man es als Außenstehender auf den Punkt bringen.

Unter Kroaten

Donnerstagnacht ist wieder die Stunde der Fans. In etlichen Cafés der berüchtigten Ottakringer Straße stehen sie, sitzen sie, fühlen sich wie in der Heimat, viele singen heimatverbundene Fußballlieder, die Fahne Kroatiens ist überall zu sehen. Autokorsos fahren gelegentlich vorbei, auch sie tragen das kroatische Schachbrettmuster als Dekoration.

Ein einheimischer Passant freut sich nicht besonders: "Aber sagen Sie, das kann doch nicht wahr sein, so viele laute Jugoslawen, und Sie greifen nicht ein", moniert er bei einem jungen Polizisten. Der sieht das gelassen, immerhin habe die Wiener Polizei alles im Griff, sagt er. Viele der Anwesenden bekommen das Eröffnungsspiel erst gar nicht mit, die Plätze in der nähe der Bildschirme waren schon innerhalb von wenigen Augenblicken weg. Wenn die Fans weiter vorne am Fernseher grölen, dann wissen die vielen anderen weiter hinten auch Bescheid; so läuft die Kommunikation während des Spiels ab.

Lange Geschichte

Ein paar Schritte weiter sitzen Ivana und Marina, freundlich erklären sie, warum das Hierherkommen so wichtig ist: "Kroatien ist unser ganzer Stolz, und hier fühlt man sich unter Gleichen." Seit dem 15. Jahrhundert hat Österreich mehrere Einwanderungswellen aus dem Gebiet des heutigen Kroatien erlebt. Derzeit leben laut Statistik Austria gut 70.000 Menschen kroatischer Herkunft in Österreich, nicht dazugerechnet wurden all jene, die zwar kroatische Wurzeln aufweisen, aber in zweiter Generation in Österreich leben.

Zu viel des Guten

Dass in dieser ekstatischen Freudenphase und im Eifer des Anfeuerns auch einige unter den friedlichen Zusehern überreizt wirken, bekommt man schnell mit. Dann schlägt Heimatverbundenheit in Nationalismus um. Ein kundiger Zuseher erzählt: "Hier sollte man lieber nicht sagen, dass man Serbe oder Bosnier ist, und es wäre von Vorteil, bei Niederlagen eher Abstand von den Fans zu halten." Ein junger Kroate macht kein Hehl daraus, als Kroatien mit 1:3 hinten liegt: "Jetzt ist es besser aufzupassen", brüllt er in angetrunkenem Zustand durch die Menge. Die Zuseher rundherum ignorieren ihn aber. Brasilien-Trikots gibt es auf der Ottakringer Straße keine zu sehen.

Endspurt

In den letzten Minuten feuern die Fans noch einmal ihre Mannschaft an. Gut haben sie sich geschlagen und mit etwas Pech verloren. Auch Dario, ein kritischer Fußballgenießer, weiß das: "Gegen Kamerun wird es anders sein", ist er sich sicher. Wer das große Brasilien ärgern konnte, der ist auch für Großes bestimmt, glaubt Dario. Sehen wird er das Spiel wieder in der Ottakringer Straße. (Toumaj Khakpour, daStandard.at, 13.6.2014)

Toumaj Khakpour
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