"Romantisch, sehr romantisch", findet Katrin den Liebesschlösser-Kult. Die 19-jährige Studentin aus Aachen hat mit ihrem Freund Kevin ein Exemplar aus Messing in einem Baumarkt gekauft und mit einem dicken roten wasserfesten Stift beschriftet: "K&K4ever", Katrin und Kevin für immer. Sie wollen es an der Hohenzollernbrücke befestigen, der Eisenbahnbrücke über den Rhein beim Kölner Dom.

Die Hohenzollernbrücke in Köln galt früher als wenig reizvoll. Dank der Liebesschlösser ist sie heute eine gut behütete Touristenattraktion.
Foto: Dietmar Scherf

Dort eine freie Stelle zu finden ist nicht leicht, über 40.000 der kleinen Verheißungen in Metall hängen an dem Gitter zwischen Gehsteig und Bahngleisen. Es ist nicht mehr als Gitter zu erkennen, gleicht einem knallbunten Relief, blinkt und glitzert rosa, rot, orange, lila, grün und blau von den mit Amorpfeilen, Schleifen oder Plastikblümchen verzierten Devotionalien. Vornamen oder Initialen wurden meist samt Datum draufgeschrieben, -geritzt oder -graviert. "Du und ich für immer", "Drei Mal um die Sonne und fünf Mal um den Mond" und andere Formeln für die Ewigkeit füllen besonders ausgefallene Modelle.

Schloss für Kurzentschlossene

An der Rampe Richtung Dom und Innenstadt stehen Händler, die Kurzentschlossenen Messingschlösser inklusive Beschriftung zum Stückpreis von drei Euro anbieten. Katrin und Kevin müssen fast bis ans andere Ufer gehen, um endlich einen Zentimeter Maschendraht für ihr Zeichen der ewigen Liebe zu ergattern. Sie hängen das Schloss neben den Aushang von "Spatzi & Schatzi".

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Foto: AP/Michael Probst

Katrin wirft den Schlüssel in hohem Bogen über die rechte Schulter in den Rhein und sagt: "Niemand wird es je wieder öffnen können!" Dann küsst sie ihren Freund auf den Mund. Hand in Hand schauen sie dem Schlüssel nach, als die Sonne glühend rot im Fluss versinkt.

Die "Inspektion" wird zum Liebewochenende

Für das Stadtmarketing war es ein Glück, dass die Bahn als Brückenbesitzerin nur kurz murrte und die Pärchen dann gewähren ließ. Manche kommen zwei- oder dreimal zurück, um zu schauen, ob ihr Schloss noch da ist - und bauen die "Inspektion" nicht selten zu einem Liebeswochenende aus. Die Hohenzollernbrücke ist eine neue, hochgeschätzte und behütete Touristenattraktion geworden. Ein Mann, der 50 Liebesschlösser geknackt hatte, um sie an einen Schrotthändler zu verkaufen, wurde wegen Diebstahls und Sachbeschädigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Schlösser seien keineswegs herrenlos, meinte der Richter, die verliebten Paare hätten sie dort nur deponiert.

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Schloss und Schlüssel bezeugen ewige Verbundenheit, die Brücke steht für die Vereinigung getrennter Welten, der Fluss ist ein dynamischer Gegenpol zum Statischen.
Foto: dpa/Oliver Berg

Dagmar Hänel und Mirko Uhlig vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte im flussaufwärts von Köln gelegenen Bonn haben Geschichte und Bedeutung der rituellen Geste entschlüsselt. Vor allem junge Menschen demonstrierten an "Orten des Übergangs" den Wunsch nach Beständigkeit ihrer Beziehung. "Du bist beslozzen / In minem herzen, / Verlorn ist das sluzzelin", heißt es schon in einem Minnelied aus dem 12. Jahrhundert. Schloss und Schlüssel seien Symbol "des Ineinander- und Zueinanderpassens", resümieren Hänel und Uhlig und attestieren dabei dem Ritual eine durchaus erotische Komponente.

L’amour an der Mur

In Graz, wo die Vorhängeschlösser an der Brücke "La Mur" hängen, haben Volkskunde-Studierende den Brauch ebenfalls unter die Lupe genommen und betonen die vielschichtige Symbolik. Schloss und Schlüssel bezeugten ewige Verbundenheit, die Brücke stehe für die Vereinigung vormals getrennter Welten, der Fluss sei ein dynamischer Gegenpol zum Statischen und Ewigen von Brücke und Schloss, das aufgemalte oder eingravierte Herz schließlich "der Sitz der Seele und das Zeichen der Liebe".

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Einige Tausend Vorhängeschlösser mit Liebesschwüren zieren den Makartsteg in der Stadt Salzburg. Vor zweieinhalb Jahren begannen in Salzburg die ersten Liebenden, ihre Initialen auf kleine Schlösser zu schreiben und den Schlüssel in die Salzach zu werfen, damit die Liebe ewig hält. Der italienische Schriftsteller Federico Mocca hat den Brauch durch seinen Roman 'Ich steh auf dich' populär gemacht.
Foto: APA/Barbara Gindl

Auch in Wien macht es immer häufiger "klick", wenn es funkt. Paare besiegeln ihre Liebe mit einem verzierten Vorhängeschloss beispielsweise an der Floridsdorfer Brücke. Den Makartsteg in Salzburg schmücken ein paar Tausend metallene Liebesbeweise. Dabei zeigten die Stadtverantwortlichen in Salzburg und Graz anfangs wenig Herz für den Kult und schickten Arbeiter mit Bolzenschneidern zu den Schlössern, dulden aber inzwischen den Brauch.

3.000 Euro Strafe fürs "Klicken" in Venedig

In Rom bleibt der Bürgermeister hart, nachdem auf der Milvischen Brücke, dem Ponte Milvio, eine Laterne unter der Last der Liebesschlösser umgeknickt war und er sämtliche "lucchetti" wegschneiden ließ. Noch krasser ist die Situation für Turteltauben in Venedig. Wer dort beim "Klicken" erwischt wird, riskiert 3.000 Euro Strafe. In der Zeitung La Repubblica wurde sogar eine einjährige Gefängnisstrafe für die Liebestäter gefordert. Dabei soll der aktuelle weltweite Trend in Italien, eben auf der Milvischen Brücke, seinen Ausgangspunkt haben: In Federico Moccias Jugendroman Ho voglia di te aus dem Jahr 2006 und einem dazugehörenden Video klemmen zwei junge Verliebte ein Vorhängeschloss an eine Laterne auf dem Ponte Milvio und schleudern den Schlüssel in den Tiber mit dem Ausruf "Per sempre!" - für immer!

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Liebe hat nichts mit Besitz zu tun, die Idee, man könne die Liebe zweier Menschen ein für alle Mal absperren und den Schlüssel wegwerfen, ist pure Fantasie.
Foto: AP/Toby Showers

Eine Vorform des Kults, wenngleich mit konträrer Symbolik, ist in Florenz bekannt, wo Absolventen einer Akademie als Demonstration der wiedergewonnenen Freiheit die Vorhängeschlösser ihrer Spinde ans Gitter der Brücke Ponte Vecchio klammerten. Als Ursprungsorte des Brauchs werden außerdem Vrnjačka Banja in Serbien und Pécs in Ungarn genannt, von denen aber nie ein Hype ausging, wie ihn die Welt derzeit erlebt. Überdies sollen in der lettischen Hauptstadt Riga schon seit langem Liebesriegel an Brücken hängen. Besonders beliebt ist die kleine Fußgängerbrücke am Bastejkalns-Park in der Nähe des Stadtkanals und des Freiheitsmonuments. Frisch Vermählte pflegen am Hochzeitstag über sieben Brücken zu gehen - das bringt zusätzlich Glück.

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Foto: Reuters/Charles Platiau

Eher nichts für die Brücke

Als Hochzeitsgeschenk eignen sich die Liebesschlösschen der Luxusklasse vom französischen Edelmodelabel Louis Vuitton, beispielsweise ein Anhänger in Schlossform aus Weißgold mit Diamanten besetzt, der mit seinem stolzen Stückpreis - 17.000 Euro - eher nichts für die Brücke ist. Ein vergoldetes Liebesschloss "für besondere Anlässe" gibt’s im Internet immerhin schon um 79 Euro. Die Händler im Netz wollen am Trend mitverdienen und haben eine Fülle von Modellen aufgelegt, in „Treueblau“, "Hoffnungsgrün" oder "Zärtlichpink". "Mini-Handschellen mit Gravur" sind für 14,95 Euro zu haben.

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Foto: APA/EPA/Ian Langsdon

Unstrittig sind Vorhängeschlösser als Zeichen der Liebe nicht. "Liebe hat nichts mit Besitz zu tun", kritisierte die in Paris geborene Autorin Agnès Catherine Poirier in der New York Times die ausufernden Züge des Kults in ihrer Heimatstadt, "die Idee, man könne die Liebe zweier Menschen ein für alle Mal absperren und den Schlüssel wegwerfen, ist pure Fantasie."

"Befreit eure Liebe!"

Geschätzte 700.000 Schlösser hängen an den Brücken von Paris. Für die in der Seine-Stadt lebenden Amerikanerinnen Lisa Anselmo und Lisa Taylor Huff sind diese Massen von "Metallklumpen" eine "Plage, schierer Wahnsinn". Anfang des Jahres gründeten die beiden Frauen die Initiative "No Love Locks", Motto: "Befreit eure Liebe. Rettet unsere Brücken". Ihre Petition für ein Verbot der Liebesschlösser fand bereits 9000 Unterstützer, drei Viertel davon aus Frankreich. Dass am Pfingstsonntag ein Geländerstück der Brücke Pont des Arts unter der Last der Schlösser einstürzte, erhitzt die Gemüter zusätzlich.

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Foto: APA/MTI/MARTON MAGOCSI

Ein Verbot müsse her, fordern Lisa Anselmo und Lisa Taylor Huff. Es bringe nichts, die Metallteile nur wegzuschneiden, weil kurz darauf wieder Schlösser aller Größen und Farben wuchern würden. Die Schlösser verschandelten die schönsten Stadtansichten, ihr Gewicht gefährde Leib und Leben, ihr Rost zerstöre historische Bausubstanz, und tausende weggeworfene Schlüssel vergifteten den Fluss. "Das ist keine Liebe. Das ist Vandalismus", sagt Lisa Taylor Huff. Lisa Anselmo empfiehlt romantischen Pärchen, auf andere Weise ihre Zuneigung auszudrücken: "Küsst euch doch lieber oben auf dem Eiffelturm".

Bäume statt Brücken

Brückenschützer stellen bereits Alternativen auf, beispielsweise einen "Liebesstein" mit Ringen, so geschehen in Heidelberg. Auf der Luschkow-Brücke in Moskau befestigen Frischverheiratete ihr Schloss an "Bäumen der Liebe". Und beim N Seoul Tower in der Hauptstadt Südkoreas können die metallischen Zeichen der Treue ebenfalls an Bäume gehängt werden - aber an künstliche.

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Auf der Luschkow-Brücke in Moskau befestigen Frischverheiratete ihr Schloss an "Bäumen der Liebe".
Foto: AP/Misha Japaridze

In Mainz ist die Südbrücke, eine Eisenbahnbrücke an der Strecke nach Frankfurt, die Hauptbühne für die eisernen Liebesbekundungen. 1.000 Vorhängeschlösser hängen an dem Zaun, der den kombinierten Rad- und Fußweg von den Gleisen trennt. Wenn hier Jogger und Radfahrer vorbeihasten, unter der Brücke Lastkähne den Rhein verstopfen und oben am Himmel Flugzeuge dröhnen, wirken die Schlösser fast wie ein Ruhepol, künden von einer schönen Welt, verziert mit Herzchen und Amorfiguren.

"Bin mir treu geblieben"

"Ewig dein, ewig mein", schreiben Susanne und Uwe. Sarahs und Lisas Schloss schmückt der Spruch "Ein wahrer Freund ist der, der deine Hand nimmt, aber dein Herz berührt". Sogar Singles bezeugen hier ihre Liebe, einer schreibt: "Bin mir treu geblieben". Und Lib und Alan hinterließen am 12. November 2005 die Botschaft "Danke Deutschland, where we fell in love!" Toi, toi, toi! (Dietmar Scherf, Album, DER STANDARD, 14.06.2014)