Der Bösewicht in "Far Cry" soll provozieren.

Foto: Ubisoft/"Far Cry 4"

Mit dem im Herbst erscheinenden Shooter "Far Cry 4" hat Hersteller Ubisoft bereits bei der Ankündigung für viel Diskussionsstoff gesorgt. Neben Sexismusvorwürfen ist der Titel auch für die Gewalt in populären Videospielen repräsentativ. Kreativdirektor Alexander Hutchinson erklärt im Interview mit dem GameStandard, weshalb gespielte Brutalität so beliebt ist und Shooter trotzdem nicht wegen der dargestellten Gewalt gekauft werden.

derStandard.at: Als das Cover zu "Far Cry 4" veröffentlicht wurde, dauerte es nicht lange bis die ersten kritischen Stimmen folgten. Die abgebildete Szene sei rassistisch und sexistisch, hieß es von so mancher Seite. Diese Vorwürfe haben sich nachträglich als vollkommen unbegründet herausgestellt. In wie weit wollen Sie als Kreativer Konsumenten mit ihren Spielen provozieren?

Hutchinson: In erster Linie wollen wir sicherstellen, dass unsere Geschichten einzigartig sind. Ich habe genug Shooter gespielt, bei denen man die Rolle eines Soldaten übernimmt, der gegen andere Soldaten kämpft und am Ende gewinnt der eine Soldat. Erzählerisch steckt da nicht viel mehr drin. Wir wollen außergewöhnliche, aufbrausende Charaktere, und Pagan, der Antagonist in "Far Cry 4", ist genau das. Was die Kontroverse betrifft: Für uns erstaunlich war, dass voreilig Schlüsse gezogen wurden. "Er ist ein Weißer", hieß es. Ist er nicht. "Das ist der Protagonist!" Ist er nicht. Keine dieser Annahmen war korrekt. Es wäre schön gewesen, wenn man entweder eine Woche gewartet hätte, bis mehr Infos veröffentlicht wurden, oder, wenn jemand nachgefragt hätte.

derStandard.at: Hat keiner getan?

Hutchinson: Niemand hat gefragt.

derStandard.at: Was wollen Sie denn nun mit der Geschichte erzählen?

Hutchinson: In "Far Cry 4" spielt man Ajay, der in Kyrat geboren wurde und in den USA aufgewachsen ist. Als seine Mutter stirbt, soll er ihrem letzten Willen nach ihre Asche zurück nach Kyrat bringen. Es geht darum herauszufinden, wer man selbst ist, die eigene Familie kennenzulernen und welche Verbindung man zu diesem Ort hat. Wir wollen eine Protagonisten, der wie der Spieler mehr oder weniger im Dunkeln wandelt und in diese Situation geworfen wird.

derStandard.at: Das Intro, das Sie auf der E3-Pressekonferenz gezeigt haben, war extrem brutal (siehe unten). Eine Eigenschaft, die auf sehr viele aktuelle Spiele zutrifft. Braucht es dieses Maß an Gewalt, um die Aufmerksamkeit der Spieler zu erregen?

Hutchinson: Wir haben drei oder vier Minuten Zeit, um den Antagonisten und die Kulisse zu etablieren. Wir wollten zeigen, dass er ein Typ ist, der in Sekunden von null auf hundert aufdrehen kann. Und dass er so reich und mächtig ist, dass er sich nicht im gleichen Universum wie der Rest von uns bewegt. Er ist in Blut getränkt, und es ist ihm egal. Das Wichtigste für uns aber war zu zeigen, dass er dich, den Protagonisten, mag. Und letztendlich ist es immer noch ein Spiel, in dem es großteils ums Schießen geht. Keine Gewalt im Trailer zu zeigen würde einen falschen Eindruck geben.

derStandard.at: Wenn man sich allein die großen Blockbuster von Ubisoft ansieht, aber auch generell das Blockbuster-Line-up, dann geht es fast nur ums Schießen ...

Hutchinson: Wenn ihr Leute die anderen Spiele kaufen würdet, dann würden wir diese Games entwickeln.

derStandard.at: Aber im Ernst: Gibt es aus Sicht eines Blockbuster-Entwicklers keine anderen interessanten Ansätze zu verfolgen als Schießen?

Hutchinson: Natürlich. Ich habe viele Jahre an "The Sims" gearbeitet, das jährlich viele Millionen Dollar umsetzt. Genauso ist auch "Spore" gut gelaufen. "Assassin's Creed" setzt genauso stark auf Geschichte, Exploration und Erzählung wie auf Gewalt. Und das Gleiche gilt für "Far Cry". Action ist ein Stützpfeiler, aber daneben gibt es auch die Exploration oder die Steuerung von Vehikeln.

Aber was die herausfordernden Passagen betrifft, geht es ganz sicher um Kämpfe. Und bei drei oder vier Minuten Präsentationszeit werden wir immer auf die Actioninhalte zurückgreifen. Der Rest ist zu langsam und nimmt zu viel Zeit weg.

derStandard.at: Weshalb haben Action und Schießen bei Spielen nach wie vor so eine große Bedeutung?

Hutchinson: Einfach weil es großartige Spielmechaniken sind. Ich habe einen ganzen GDC-Vortrag darüber gehalten, weshalb Schießen die perfekte Spielmechanik ist. Die Risikobelohnung ist klar ersichtlich für den Spieler. Ich gewinne oder verliere. Das Ziel ist ganz klar: Wenn ich gewinne, bist du tot, und wenn ich sterbe, setzt du dich durch. Es ist immer spektakulär. Die Metapher ist leicht verständlich. Es gibt Millionen Gründe, weshalb es funktioniert.

Aber es ist nicht die Gewalt, die die Menschen bezahlen, es ist die Herausforderung des Zielens und Treffens und die Aufregung, die ein potenzielles Scheitern mit sich bringt. Das funktioniert auch bei Spielen, in denen man auf Fotos schießt. "Pokémon Snap" etwa vermittelt ein sehr ähnliches Spielgefühl.

derStandard.at: Sie meinen, "Pokémon Snap" ist ein First-Person-Shooter?

Hutchinson: Ja, es ist praktisch ein First-Person-Shooter ohne Waffen. Man versucht Dinge ins Visier zu bekommen und drückt dann den Abzug.

derStandard.at: Es lässt sich allerdings nicht darüber hinwegsehen, dass bei derart brutalen Szenen wie im Intro zu "Far Cry 4" das Publikum, in dem Fall die Besucher der E3-Pressekonferenz, fast ekstatisch reagiert. Ist die Stilisierung von Gewalt schon ein wesentlicher Teil unser Unterhaltungskultur?

Hutchinson: Sie ist definitiv ein sehr großer Teil unserer Kultur. Die Leute mögen Extreme, intensive Momente und Überraschungen. Das ist der Grund, weshalb die Leute in diesem Moment klatschen. Weil der Bösewicht den Kugelschreiber hält und man nicht genau weiß, was passieren wird. Es ist eine Überraschung, ein Schock. In der Umgebung einer Gruppe wird man immer Jubel für so einen Effekt erhalten.

Das beantwortet auch Ihre ursprüngliche Frage, weshalb man so eine Szene vor einem Showpublikum zeigt. Auf der Bühne zeigt man etwas anderes als den Sehern zu Hause. Hier hat man mehr Zeit.

derStandard.at: Und der Antagonist verkörpert diese Unberechenbarkeit?

Hutchinson: Wir wollten eine vielschichtige Persönlichkeit, die nicht so leicht durchschaubar ist. Ich habe lieber einen kontroversen Charakter, an den man sich erinnert, als einen, über den die Leute nicht diskutieren. (Zsolt Wilhelm aus Los Angeles, derStandard.at, 13.6.2014)

Trailer: "Far Cry 4"
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