Höhepunkt einer anregenden Festwochen-Saison: "Der Mönch aus der Tang-Dynastie" im ehemaligen Semperdepot.

Foto: Homegreen Films

Wien - Die Wiener Festwochen hätten es sich einfacher machen können. 2014 ist Richard-Strauss-Jahr. Was hätte nähergelegen, als dem Komponisten aus Garmisch-Partenkirchen zu huldigen. Ein Tipp: Das unerträglich süßliche Ballett Schlagobers (op. 70) schrieb der geschäftstüchtige Maestro während seines mehrjährigen Wien-Aufenthalts.

Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser wählte in seinem ersten Zuständigkeitsjahr eine andere Geschmacksrichtung. Statt Schlagobers gab es Hirn. Auf dem Deckel des aktuellen Katalogs liegt ein menschliches Gehirn auf dem Teller. Gabel und Messer - Letzteres scharf gezackt - bilden eine Aufforderung zum Verzehr.

Statt Strauss also Galina Ustwolskaja (1919-2006). Der bei uns nahezu unbekannten Komponistin aus Sankt Petersburg widmete Hinterhäuser eine kleine Personale. Mit der spröden Beredtheit von Ustwolskajas Musik ist scheinbar kein Blumentopf zu gewinnen. Alle Kulinarik verbietet sich angesichts einer Klangrede, deren Eindringlichkeit fremdartig anmutet, weil sie aus den spirituellen Bezirken Osteuropas stammt. Der Applaus im Mozart-Saal des Konzerthauses war tosend. Hinterhäuser hatte die ruppige Klaviermusik Galina Ustwolskajas mit den Fingerknöcheln in den Steinway gehackt.

Kein Schlagobers, nirgends. Dafür bekam man als Besucher der noch bis Sonntag laufenden Festwochen 2014 den Eindruck eines großen Kunsternstes.

Die Sparte Oper bedient sich nicht mehr nur in den gängigen Feinkostabteilungen. Versuche wie Romeo Castelluccis Deutung von Glucks Orfeo ed Euridice markieren Grenzerfahrungen. Gegenüber der Idee, das Geschehen mit den Augen einer Wachkomapatientin zu betrachten, gibt es keine Steigerungsmöglichkeit. Die Uraufführung der Haas/Händl-Oper Bluthaus darf als Vitalitätszeichen angesehen werden. Mit der Haneke-Inszenierung der Così aus Madrid signalisierte man die Bereitschaft, sich mit heimischen Weltstars, wenn sie denn schon im Ausland Karriere gemacht haben, zu Hause mitzufreuen.

Schwerer fällt es, das Schauspielprogramm über einen Kamm zu scheren. Die Handschrift der zuständigen Direktorin Frie Leysen wird nach nur einem Jahr schon wieder ausgelöscht. Angenehm ins Auge stach die Verknappung des Angebots. Die Idee eines allzuständigen Weltkuratorentums wurde eingeengt, der Blick richtete sich umso konzentrierter auf Außenseiter wie Claude Régy oder Tsai Ming-liang (Letzterer eigentlich ein Filmemacher).

Schlummernd auf Papier

Tsais stille Theaterproduktion Der Mönch aus der Tang-Dynastie bleibt ein sentimentaler Favorit dieser Festwochen. Ein heiliger Mann liegt schlummernd auf einem Bogen Packpapier. Die Zeit verrinnt. Ein Heer von Spinnen umgarnt den Mönch, der innerlich wie äußerlich einen Zugang zum Herz der Leere sucht. Auch diese Arbeit: ein beglückender Wachtraum, ein spirituell zu verstehendes Angebot.

Womit die zahlreichen halbgaren Einfälle anzusprechen sind. Thalheimers komplett amusische Deutung von Geschichten aus dem Wiener Wald war eine matte Huldigung an das sonst ausgeblendete deutsche Stadttheater.

Jean Genets Die Neger wurden vorsorglich zum Prüfstein für moralische Haltungsfragen erklärt. Die Frage, was schwarze Schuhwichse im Gesicht eines Mitteleuropäers verloren hat, verpuffte angesichts einer lahmen Inszenierung. Frie Leysens abruptes Ausscheiden aus dem Leitungsteam der Festwochen wirft andere Fragen auf, etwa diejenige nach der internen Kommunikation.

Kein Schlagobers. Hingegen ist der Espresso im neuen Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus exzellent. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 13.6.2014)