Unscheinbar, aber von beneidenswertem Gesundheitszustand: die Blindmaus.

Foto: Eviatar Nevo

Mainz - Weitgehend allein unter der Erde leben, geschützt vor den Gefahren an der Erdoberfläche sein und sich von nachwachsenden Ressourcen wie Wurzeln oder Rüben ernähren, die ohne allzu großen Energieaufwand "erbeutet" werden können: Klingt ganz so, als würde die Blindmaus ein recht gemütliches Leben führen. Aber ganz ohne Stress geht es auch in dieser Lebenweise nicht, wie die Universität Mainz berichtet.

Ab unter die Erde

Blindmäuse sind eine mehrere Arten umfassende Gruppe von Nagetieren, die vom Mittelmeerraum bis zum Schwarzen Meer verbreitet ist. Optisch erinnern sie eher an Maulwürfe als an Mäuse, mit denen sie in Wirklichkeit verwandt sind. Die 20 bis 30 Zentimeter langen Tiere dürften sich vor etwa 50 Millionen Jahren entwickelt haben, als sich die Erde nach einer Hitze-Periode deutlich abkühlte und offenere Lebensräume wie Savannen entstanden. Die Vorfahren der Blindmäuse zogen sich damals unter die Erde zurück. Ihre Augen wurden nicht mehr gebraucht und überwuchsen mit Fell.

Allerdings lauerte unter der Erde ein ganz neues Problem: Nämlich ein Mangel an lebensnotwendigem Sauerstoff, besonders wenn der Boden durch starken Regen überflutet wird, und ein Zuviel an tödlichem Kohlendioxid. Doch die Blindmäuse haben sich daran angepasst, wie Forscher bei einer Untersuchung der in Südosteuropa, Vorderasien und Nordafrika heimischen Art Spalax galili herausfanden.

Beneidenswerte Gesundheit

Mit weniger als einem Drittel des normalerweise verfügbaren Sauerstoffs kann das Tier problemlos für viele Stunden ohne Schäden an empfindlichen Organen wie dem Gehirn überleben. Für Ratten oder auch Menschen wäre dies binnen kurzer Zeit tödlich.

Außerdem erreicht Spalax problemlos ein Alter von mehr als 20 Jahren, während seine engen Verwandten Maus und Ratte mit 3 Jahren bereits die Grenzen ihrer Lebenserwartung erreichen. Zudem bekommt die Blindmaus natürlicherweise und selbst nach einer Behandlung mit kanzerogenen Chemikalien im Labor keinen Krebs.

Diese einzigartigen zellulären Mechanismen sind es, die Spalax für die Forschung hochgradig attraktiv machen. Hier kann die Wissenschaft untersuchen, wie Sauerstoffmangel etwa nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, Krebs und Altern innovativ und erfolgreich zu bekämpfen wären.

Genom-Entschlüsselung

Einen wichtigen Beitrag dazu hat nun ein internationales Konsortium, koordiniert von israelischen Wissenschaftern der Universität Haifa um Eviatar Nevo, geleistet: Die Forscher entschlüsselten die gesamte Erbinformation von Spalax galili.

Dabei zeigten sich unter anderem auffällige Veränderungen in manchen Blutfarbstoff-Genen, die Teil der Anpassung an akuten Sauerstoffmangel sein könnten. Dem durch Kohlendioxidanhäufung im Blut erzeugten Säureschmerz entgeht die Blindmaus durch eine Mutation in einem Schmerzrezeptor-Gen.

Der Krebstoleranz auf der Spur

Auch erste Hinweise auf die möglichen Ursachen der Krebstoleranz erhielt das Wissenschaftler-Konsortium. Durch eine auffällige Mutation im wichtigen Schaltergen p53 reduziert Spalax wohl den Prozess des kontrollierten Zell-Selbstmords (Apoptose), was den Verlust von Zellen nach Sauerstoffmangel-Stress minimieren kann.

Die Apoptose ist aber eigentlich auch für die effiziente Beseitigung von Krebszellen erforderlich. Diese Schwächung überkompensiert Spalax möglicherweise durch besonders starke Aktivierung eines alternativen Weges, entartete Zellen zu entfernen.

Thomas Hankeln von der an den Forschungen beteiligten Arbeitsgruppe der Universität Mainz nimmt bereits das nächste Forschungsziel ins Visier: einen Vergleich der Blindmaus mit einem entfernten Verwandten, dem mit ähnlich günstigen Eigenschaften ausgestatteten Nacktmull. Hankeln: "Aus dem Vergleich versprechen wir uns quasi doppelt so viele Hinweise auf neuartige Stoffwechselprozesse, die irgendwann für die Medizin nützlich sein könnten.“ (red, derStandard.at, 21. 6. 2014)