Der Kriegsfilm "Le 317ème section" von 1965 ist ein bedeutendes Zeugnis in der Überlieferung des Indochinakriegs.

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Wien/Berlin - Vier Franzosen und 41 Männer aus Laos bilden Le 317ème section in einem Film von Pierre Schoendorffer aus dem Jahr 1964. Er stellt ein bedeutendes Zeugnis in der Überlieferung desIndochinakrieges dar, entstanden unter besonderen Bedingungen. Denn die französischen militärischen Interventionen waren inzwischen von amerikanischen abgelöst worden, längst war das im Gange, was wir heute als den Vietnamkrieg kennen. Schoendorffer musste für die Dreharbeiten nach Kambodscha ausweichen, bekam dafür aber dort Flugzeuge von Prinz Sihanouk zur Verfügung gestellt, der ein Fandes Kinos war.

Für die in Zürich lehrende Historikerin Monika Dommann war die Begegnung mit Schoendorffers Werk ein wichtiger Moment. Er brachte sie dazu, ihr Verständnis von historischen Quellen zu überdenken, einem Thema, das nun auch den Hintergrund einer Tagung am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien am 12. und 13. Juni bildet. Unter dem Titel "Replay: Der Kriegsfilm als Pionier der Geschichtsschreibung?" beschäftigt sie sich mit dem spezifischen Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Erforschung von Kriegen und ihrer populären Überlieferung.

"Am Beispiel Vietnam und Indochina ist mir zuerst aufgefallen", sagt Monika Domman im Gespräch mit dem Standard, "dass es da eine Lücke gibt. Es dauerte eine Weile, bis die Geschichtsschreibung so richtig einsetzte; zu diesem Zeitpunkt gab es schon sehr viele Filme über Vietnam. Das kollektive Gedächtnis wird durch sie geprägt, es entsteht ein Wissen der Öffentlichkeit, das die Historiker nicht ignorieren können."

Persönlich hatte sie zwei Schlüsselerlebnisse in diesem Zusammenhang. Das erste war Francis Ford Coppolas berühmter Vietnam-Film Apocalypse Now aus dem Jahr 1979. "Ich wusste so gut wie nichts über den Vietnamkrieg, als ich den Film sah. Und nun sah ich Marlon Brando vor mir, der da irgendwo im Dschungel sitzt. Kambodscha oder der Kongo (aus der literarischen Vorlage von Joseph Conrad, Anm.)beginnen sich zu überlagern, man weiß gar nicht mehr genau, wo man ist. Das vermischt sich alles im Gedächtnis."

Verblüffende Nähe

Zugleich ist die historische Nähe zwischen den Geschehnissen und dem Film verblüffend. 1975 endete der Vietnamkrieg, 1979 kam Apocalypse Now heraus, eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, könnte man fast meinen. Oder mit denselben? "Coppola ist ja auch nach Südostasien gegangen. Er hat mit den gleichen Flugzeugen und Helikoptern auf den Philippinen den Krieg weitergeführt. Es gibt diese komischen Verbindungen, die in der Natur der Sache liegen. Der Film braucht Logistik, und schon ist man wieder im Krieg drin."

Das zweite Schlüsselerlebnis machte Monika Domman mit dem Werk von Pierre Schoendorffer bekannt. "Ich hab 2005 in Washington an der Library of Congress geforscht. Da wurde jeden Tag ein Film aus dem Depot gezeigt. Eines Tages lief The Anderson Platoon, ein Dokumentarfilm eines Franzosen über eine amerikanische Einheit mit einem afroamerikanischen Kommandanten in Vietnam aus dem Jahr 1967. So begann ich mich für Pierre Schoendorffer zu interessieren, der schon im Indochina-Krieg als Pressefotograf tätig war. Er war in der Schlacht von Dien Bien Phu, wurde gefangen genommen und ist eigentlich dann nicht mehr davon losgekommen. Le 317ème section durfte er zuerst nicht drehen, also hat er erst einmal einen Roman darüber geschrieben."

Dieser Umstand berührt einen wichtigen systematischen Punkt, der auch für die Tagung relevant sein wird. Denn die Filme beruhen ihrerseits wiederum häufig auf Reportagen, sind also noch tief in der Kriegsberichterstattung verhaftet. "Diese Verflechtungen sind wesentlich", sagt Dommann. "Die Kriegsreporter sind ja meistens embedded, sie sind die Ersten, die die öffentliche Wahrnehmung einesKrieges prägen. In Amerika war die Vietnamkrieg-Berichterstattung noch ziemlich frei. Schoendorffer hatte einen Kameramann, Raoul Coutard, der wie er als Pressefotograf gearbeitet hatte. Coutard wurde später bekanntlich der Kameramann der Nouvelle Vague, und er hat immer betont: Ich habe alles imKrieg gelernt."

Filme als historische Quelle

Indochina wird einen Schwerpunkt bei der IFK-Tagung bilden, es wird aber auch Vorträge über den Zweiten Weltkrieg geben, zum Beispiel beschäftigt sich Maria Muhle mit neueren populären audiovisuellen Synthesen, die eine "wahre Geschichte" versprechen. Matthias Wittmann, der sich schon längere Zeit intensiv mit dem iranischen Kino beschäftigt, wird Einblicke in die massenmediale Aufbereitung des Iran-Irak-Kriegs geben, die wegen der Sprachschwelle im Westen wenig rezipiert wird.

Zum Abschluss des Gesprächs lässt Monika Domman sich doch noch auf das Jahresgroßthema ein. Muss man, wenn man über den Ersten Weltkrieg schreibt, auch Filme als Quellen einbeziehen? "Jemand wie der Historiker Christopher Clark muss das nicht. Ihn interessiert eine Archäologie dieses Moments, in dem der Krieg gewollt wird. Wenn man dann aber an bestimmte Phasen der Geschichtsschreibung desErsten Weltkriegs denkt, etwa an die Fischer-These von 1961 (das Buch "Griff nach der Weltmacht" von Fritz Fischer hob die Hegemonialambition Deutschlands hervor, Anm.), da wäre es sehr interessant, diese mit Filmen zusammenzubringen. Das wurde bisher noch nicht gemacht." Filme also als Quellen, zumindest auf einer Reflexionsebene? "Ich glaube, sie müssen es sein, und Historiker sollten viel mehr darauf zurückgreifen." (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 11.6.2014)