Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de und Mitglied der "SZ"-Chefredaktion. Am Freitag diskutiert er in Wien beim ersten Media Innovation Day" des Forums Journalismus und Medien (FJUM).

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Wien – Am Freitag geht es beim ersten Media Innovation Day des Forums Journalismus und Medien (FJUM) in Wien um neue Geschäftsmodelle für den Journalismus. Neben Stefan Plöchinger, Online-Chef der "Süddeutschen", debattieren unter anderen noch US-Medienberater Ken Doctor und John Paton von Digital First Media.

derStandard.at: Sie haben in einem Interview mit derStandard.at vor knapp einem Jahr gesagt: "Jedes Haus will Paid Content versuchen, lieber früher als später." Wann ist es bei sueddeutsche.de so weit?

Plöchinger: Wir arbeiten daran, kommunizieren aber keine exakten Daten, weil technische Projekte immer viele Risiken bergen. Wir wünschen uns den Winter als Starttermin.

derStandard.at: In welche Richtung geht es? Bild.de als Vorbild mit "exklusiven Inhalten" hinter der Paywall oder mehr "New York Times", die nur wenige Artikel pro Monat freigibt?

Plöchinger: Wir werden sicher nicht den Fehler begehen, einfach Modelle von anderen Medien zu kopieren und zu glauben, dass das zur "Süddeutschen" passt. Unser Modell wird flexibel sein und Elemente von anderen aufnehmen, aber auch viele Stellschrauben enthalten, damit wir es justieren können.

derStandard.at: Es wird ein komplett eigenständiges Modell?

Plöchinger: Jede Nachrichtenseite, die ich kenne, hat ein eigenes Modell. Denn jedes Medium ist im Markt anders unterwegs, und keiner weiß schon genau, wie der digitale Bezahlmarkt funktioniert.

derStandard.at: Kommt dieser Vorstoß rein von der "Süddeutschen", oder haben Sie noch andere Medien im Boot?

Plöchinger: Auch hier gilt: Jeder ist auf sich gestellt. Es wäre extrem schwierig, alle deutschen Verlage zu einen, zumal es in Deutschland nicht viele Zeitungen wie die "Süddeutsche" gibt, mit denen wir mal eben zusammenarbeiten könnten. Solche Fragen kommen gern von Freunden von Abo-Allianzen wie Blendle in den Niederlanden. Aber dafür sind die Strategien der Verlage noch zu weit auseinander, und außerdem hat die Technologie einige Nachteile.

derStandard.at: Gibt es keine Bestrebungen, eine Allianz mit überregionalen Qualitätsmedien wie der "Zeit" oder dem "Spiegel" zu schmieden?

Plöchinger: Wir sind befreundete Häuser – aber die "SZ" ist die "SZ". Wir stehen sehr selbstbewusst im Markt. Wer uns kennt und mag, wird uns finanzieren und nicht zwingend noch zwei, drei andere mit. Außerdem sind wir eine Tageszeitung, kein wöchentliches Produkt wie die anderen zwei genannten. Schon deshalb müssen sich die Abomodelle unterscheiden.

derStandard.at: Bild.de kommuniziert die Zahlen nach Einführung des Bezahlmodells zwar nicht offen, aber was man bis jetzt hört: Gibt das Anlass zur Hoffnung, oder macht sich eher Ernüchterung breit?

Plöchinger: Ich freue mich über jeden Verlag, der sein digitales Geschäftsmodell erweitern möchte, aber es wäre ein Kurzschluss, mögliche positive Lehren der "Bild“-Zeitung auf die "Süddeutsche" zu übertragen. Dafür sind die Titel zu unterschiedlich.

derStandard.at: Also prinzipiell begrüßen Sie jeden Versuch, mit Paid Content zu experimentieren?

Plöchinger: Klar. Ich wünsche mir, dass 2015 deutlich mehr Kollegen ernsthaft mit Bezahlangeboten experimentieren, weil es dem Markt und dem Journalismus insgesamt guttun wird.

derStandard.at: Rein über die Schiene Werbung sehen Sie keine Möglichkeit, Qualitätsjournalismus zu finanzieren?

Plöchinger: Ich kenne kaum Fälle, in denen Qualitätsjournalismus ausschließlich über Werbung finanziert wurde.

derStandard.at: Ist diese Erkenntnis bereits bei Lesern angekommen?

Plöchinger: Natürlich noch nicht. Wieso sollten sie denn übers Bezahlen nachdenken, wenn wir im Netz gar kein Geld von ihnen verlangen? Wobei die "SZ" ganz offensichtlich eine Marke ist, für die man im digitalen Raum bezahlen will. Die Digitalausgabe der "Süddeutschen", die es seit zweieinhalb Jahren fürs iPad und andere Geräte gibt, verkauft sich exzellent.

derStandard.at: Wie viele Abonnenten hat die Digitalausgabe?

Plöchinger: Deutlich im fünfstelligen Bereich. Und das bei einem Monatspreis von 30 Euro in der Endstufe, ohne dass wir stark rabattierte Angebote brauchen. Damit verdienen wir schon ordentlich Geld.

derStandard.at: In Österreich fordert eine Initiative, die als die "Meinungsmutigen" auftritt, die Abschaffung von Pseudonymen in Foren und eine Pflicht zu Klarnamen. Was halten Sie davon?

Plöchinger: Ich verstehe angesichts des Debattenniveaus auf vielen Seiten jeden, der die übliche Anonymität in Zweifel zieht beziehungsweise die Pseudonymität, um die es ja meist eher geht. Wobei – wenn ich Diskussionen auf Facebook anschaue, in denen viele Leute mit Klarnamen involviert sind, sehe ich nicht, dass sich die Debattenkultur dadurch drastisch verbessert. Im Gegenteil, manche Menschen verhalten sich im Netz einfach so, wie sie es leider tun, weil sie sich in einer Art geschütztem Raum fühlen, Klarnamen hin oder her. Weil ihre Schmerzgrenze zu gering ist, ist es so oder so für uns ein riesiger Aufwand, das Diskussionsniveau zu heben und Trolle zu verbannen. Da braucht es gute Moderation.

derStandard.at: Reicht das?

Plöchinger: Wir sollten uns vielleicht davon verabschieden, dass jeder im Internet befindliche Text unmittelbar dort kommentiert werden kann, wo er publiziert wird. Dafür gibt es heute ja auch Twitter und Facebook. Der klassische Ansatz von Foren ist mindestens ein Jahrzehnt alt, aber er funktioniert auf großen Nachrichtenseiten deutlich schlechter als in vielen Blogs. Bei uns beschweren sich inzwischen reihenweise Leser über Kommentare anderer Leser. Wir fragen uns: Senden wir die richtigen Signale an die Mehrheit unserer Leser, wenn immer wieder eine Minderheit von Trollen ansetzt, den Raum unter Artikeln für Rüpeleien zu kapern? Fühlt man sich da bei uns als normaler Leser noch wohl?

derStandard.at: Ist es nicht das Ziel, User auf der eigenen Seite zu halten und dort die Diskussion zu kanalisieren?

Plöchinger: Eine Diskussion mit guten Argumenten ist wertvoll, auch ein Austausch mit der Redaktion. Um genau das zu erreichen, sollten wir die Pöbler hart wegmoderieren. Das unterschreiben inzwischen übrigens auch die Kollegen der meisten anderen Nachrichtenseiten.

derStandard.at: Welche Strategie haben Sie dagegen?

Plöchinger: Wir brauchen neue Ansätze im Leserdialog, wie sie etwa unser Projekt "Die Recherche" hat. Dabei können Leser alle zwei, drei Monate ein Thema wählen, zu dem wir dann recherchieren. Mit viel Interaktion, vielen Zuschriften, viel Beteiligung. Das bringt uns auch als Redaktion substanziell weiter. Wir haben das gute Gefühl, dass wir im Dienste des Lesers arbeiten, ganz anders als bei Forenschreibern, die bei uns trollen und denen wir hinterherhecheln.

derStandard.at: Was wäre der Ausweg? Kein Forum mehr unter bestimmten Artikeln anbieten?

Plöchinger: Wir experimentieren schon damit, was passiert, wenn man in Texten die Foren einfach weglässt, wie es bei der "New York Times" zum Beispiel die Regel ist. Interessanterweise haben gar nicht so viele Leute ein Problem damit. In den kommenden Monaten werden wir da Mut zeigen, mit Altem brechen und neue Projekte umsetzen, um Leser aktiv zu beteiligen. Unser Credo ist, von Lesern guten Input zu bekommen, einen sinnstiftenden Dialog zu führen und nicht bloß einen schnellen Kommentar zu bekommen. Da haben alle Seiten Reformbedarf.

derStandard.at: Noch einmal zum Ausgangspunkt: Sind Sie für oder gegen Klarnamenpflicht?

Plöchinger: Bei manchen Themen kann sie sicher Ausfälle verhindern, aber dafür hilft es meist schon, dass wir die Mailadressen unserer Forenteilnehmer eh kennen und sie verwarnen oder sperren können. Bei einigen Themen haben wir dagegen enorm davon profitiert, dass wir Pseudonymität erlauben. Bei der "Recherche" über Steuergerechtigkeit haben Leser Einblick in ihre Steuerakten gegeben. Mit Klarnamen eher schwierig. Dazu kommt in der Ära von NSA und Big Data, dass jeder Forenkommentar mit Klarnamen mein persönliches Profil im Netz verfeinert und meine Haltungen googlebar macht – ein echter Gegensatz zu Leserbriefen mit Klarnamen in Zeitungen. Das führt nicht zwingend zu einer besseren Diskussionskultur.

derStandard.at: Vor einigen Wochen gab es Vorbehalte gegen "Hoodie-Träger" Plöchinger, als es um Ihren Einzug in die Chefredaktion ging. Hat sich das gelegt?

Plöchinger: Offen gesagt, ging mir und vielen Kollegen der Pulli-Hype am Ende auf die Nerven. Ich bin eh kein großer Freund von Hypes. Ein, zwei Tage lang war das als Soli-Aktion nach einem verunglückten Text in der "Frankfurter Allgemeinen" nett und lustig, aber die Sache hat sich ungut verselbstständigt. Wer denkt, dass in der "SZ" keiner mit Hoodie herumlaufen darf – wie ich es tatsächlich oft tue –, der täuscht sich in unserer Zeitung, in der meine Personalie übrigens keine allzu kleine Mehrheit gefunden hat. Im Spottgewitter jener Tage haben viele die Lage bei uns verkannt und sich ein bisschen verrannt. In Wahrheit brauchen wir keine Abgrenzungsfantasien wie einen Hoodie-Journalismus, sondern einen guten Umgang der verschiedenen Kulturen in Redaktionen miteinander. Wie wir ihn bei der "SZ" üben.

derStandard.at: Dahinter steht ja eine Kluft zwischen Print- und Onlinejournalismus. Wie sieht die Zusammenarbeit in Ihrer Redaktion aus?

Plöchinger: Wir haben vor einem Jahr einen Reformprozess in allen Ressorts gestartet, bei dem weit mehr als hundert Kollegen mitmachen, weil wir nicht wie andere Verlagshäuser nach Schema F sagen: "Online First". Wir überlegen uns für jedes Team, wie Print und Online besser zusammenarbeiten können. Und zwar so, dass wir als eine "Süddeutsche Zeitung" funktionieren, aber bestmöglich drei Produkte machen: die Print- und die Digitalausgabe der "SZ" und die Nachrichtenseite sueddeutsche.de. Das sind drei in sich verschiedene Dinge, und darauf nehmen wir Rücksicht. Dieses Vorgehen ist deutlich angenehmer als in anderen Redaktionen, wo die Print-Online-Diskussion oft sehr politisch geführt wird – und Reformen exekutiert werden, zum Teil sogar pro Online, die ich als Onliner gar nicht gut finde. Redaktionen müssen lernen, aus sich heraus ihre Strukturen auf alle Plattformen auszurichten, und zwar nicht anhand von Tipps von Beratern, sondern so, wie es journalistisch passt.

derStandard.at: Kein Credo "Alle müssen alles können"?

Plöchinger: Für einige Redakteure mag es der richtige Ansatz sein, dass sie sich zur eierlegenden Wollmilchsau entwickeln. Aber in der Summe brauchen wir mehr Experten für die immer unterschiedlicheren Gewerke des Journalismus, nicht einfach Generalisten, die alles können, leider aber nur halb. In aller Regel werden Kollegen ihren Job dann am besten machen, wenn sie dafür brennen – nicht, wenn wir sie überfordern, weil sie eine exklusive Reportage auch noch fürs Netz verfilmen sollen. So funktioniert guter Journalismus nicht. (Oliver Mark, derStandard.at, 11.6.2014)