Kurt Redlich könnte es in dieser Woche kaum besser treffen. Er lässt die Med-Uni Wien hinter sich und fährt nach Paris. Beim heurigen Treffen der europäischen Rheumatologen, Eular, liegt "eine gewisse Spannung" in der Luft über dem Pariser Kongresscenter. Es gibt viele Neuigkeiten.
Mehr als 400 Erkrankungen
Rheuma ist ein dehnbarer Begriff, den Mediziner so gar nicht mögen. "Dahinter verbergen sich über 400 einzelne Erkrankungen", sagt Redlich. Wie viele Menschen in Österreich an Rheuma leiden, lässt sich daher kaum beziffern. Zählt man lediglich die häufigste chronisch-entzündliche Gelenkserkrankung, die rheumatoide Arthritis, so kommt man auf ein knappes Prozent der Bevölkerung.
Über diese Gruppe wird unter Medizinern heiß diskutiert. Denn bald kommen neue Medikamente auf den Markt, denen ein Teil der Ärzteschaft eher skeptisch gegenübersteht. Konkret geht es um Biosimilars. Darunter versteht man die pharmakologischen Kopien von biotechnologisch hergestellten Präparaten, den sogenannten Biologicals. Vor etwa 15 Jahren galten sie als Durchbruch in der Rheumatherapie. "Weil etwa ein Fünftel der Patienten mit rheumatoider Arthritis nicht auf die herkömmlichen Medikamente anspricht", so Redlich. Damals gelang es der US-Pharmafirma Centocor (heute Janssen Biotech, Tochter von Johnson & Johnson) mit einem solchen Biological, einem Antikörper namens Infliximab, auch diesen Menschen zu helfen. Der Haken an der Behandlung sind die Kosten. 10.000 Euro kostet eine solche Therapie pro Patient und Jahr.
Interessenskonflikte
Inzwischen aber ist das Patent abgelaufen, der Weg frei für die Nachahmerfirmen. Vor einem Jahr empfahl die europäische Medizinaufsicht EMA die Zulassung einer Kopie des Ursprungsmedikaments Infliximab. Damit wurde das Feld frei für Interessenschlachten. Die Pharmafirmen der Originalpräparate beschwören schwer zu kalkulierende Risiken der Imitate, weil es sich ja nicht um chemische Pillen, sondern biologische Präparate handle. Die Hersteller der Kopien hingegen geben Entwarnung. Und die Krankenversicherungen erhoffen sich deutlich günstigere, gleich wirksame Therapien.
Und die Ärzte? Sie stehen mitten auf dem Kampfplatz. Wie sehr, lässt sich in einer Sonderausgabe des Österreichischen Ärzteblatts zu Biosimilars nachlesen. Die dort veröffentlichte Stellungnahme ist wenig klar. Biosimilars seien gut, wenn Ärzte selbst über ihren Einsatz entscheiden dürfen, Patienten nicht umgestellt werden müssen und weitere Studien vorliegen. Nebenbei bemerkt: Von den 21 Ärzten und Wissenschaftern, die an dieser Stellungnahme beteiligt waren, erhielten 17 Honorare von Pharmafirmen. Sechs sitzen in den Beratungskomitees verschiedener Unternehmen.
Alter Schlagabtausch
Dabei ist der Schlagabtausch nicht neu. Immer dann, wenn eine neue Medikamentengruppe zur Kopie ansteht, machen ähnliche Argumente die Runde. "In keinem Fall der derzeit in Europa zugelassenen Produkte traten die vielbeschworenen Risiken bislang ein", sagt Markus Müller, Vizerektor der Med-Uni Wien und Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie. Er war als Vorsitzender der Heilmittelevaluierungskommission des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger ebenfalls an der Stellungnahme beteiligt.
Die bislang vorgetragenen Daten geben ihm recht. Patienten, die bis dato mit dem Infliximab-Imitat behandelt wurden, erging es nicht schlechter als jenen, die das Originalpräparat erhielten. Selbst Umstellungen verliefen problemfrei. Zudem müssen Biosimilars, anders als andere Medikamentenkopien, mit eigenen Studien ihre Sicherheit und Wirksamkeit vor der Zulassung unter Beweis stellen. Erst dann erteilt die Medizinaufsicht EMA ihre Empfehlung.
Weshalb einige auch glauben, dass die von den Kassen argumentierte Kostenersparnis gar nicht erst eintreten werde. "Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Nachahmerpräparate 48 Prozent preiswerter als die Originale sein müssen", so Müller. Doch auch er hält eine solche Preisdifferenz nur für vorübergehend.
Sinkende Kosten
Denn die Erfahrung zeige, dass mit der ersten Kopie auch die Preise für die Ursprungsmittel sinken. Vor allem: Die meisten Hersteller von Originalpräparaten verfügen bereits über Tochterunternehmen, die ihre eigenen Medikamente kopieren.
Auf dem Rheuma-Kongress in Paris sollen nun Erfahrungen mit Biosimilars ausgetauscht werden. Dass das Harmonie unter den Ärzten herbeiführt, ist zu bezweifeln. Vielleicht einigt man sich auf eine pragmatische Haltung, wie die von Kurt Redlich: "Die einzige, aber sehr gute Rechtfertigung für den Einsatz von Biosimilars ist ihr Preis." (Edda Grabar, DER STANDARD, 10.6.2014)