Bild nicht mehr verfügbar.

Miley Cyrus in der Wiener Stadthalle.

Foto: EPA/GEORG HOCHMUTH

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/EPA/GEORG HOCHMUTH

Bild nicht mehr verfügbar.

FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Vielleicht geschah es aus Respekt vor Teenie-Superstar-Altspatz Justin Timberlake. Der zeigte weltweit seine coolen Dance-Moves schon zu einer Zeit, als sie selbst sich unter dem Pseudonym Hannah Montana erst langsam eine Karriere im Kinderfernsehen aufbauen musste. Im Gegensatz zu Justin Timberlake jedenfalls beschränkte sich Miley Cyrus bei ihrem ersten Wien-Konzert auf bescheidene 80 Minuten Verspätung. Sie schöpfte also die superstarvertraglich üblicherweise zugesicherten eineinhalb Stunden nicht zur Gänze aus.

Dem Rotkreuzteam vor Ort werden die zehn Minuten Unterschied relativ wurscht gewesen sein (zur Wurscht später mehr). Bei wetterbedingter Dampfbadtemperatur in der Stadthalle machen zwei oder drei aufgrund von Hyperventilation und Dehydrierung kollabierende Teenager mehr oder weniger vor der Bühne keinen großen Unterschied. Herausziehen aus den anderen Leuten muss man sie halt. Es riecht nach Turnsaal. Miley Cyrus betont immer wieder, dass sie ein Vorbild für die jungen Mädchen dieser Welt sein möchte. Vielleicht ist es von der pädagogischen Wirkung her nicht gut, wenn ein Vorbild ein Zeitgefühl wie ein Italiener kombiniert mit einem Jamaikaner hat.

In den Saal gekippte Riesenluftballons sorgen endlich für Entspannung. Es beginnt nun endlich. Das Warten muss man nämlich können. Man muss es lernen, idealerweise als Leuchtturmwärter in der Antarktis oder im geschlossenen Strafvollzug. Sehr junge Menschen und Greise können das Warten gar nicht. Dem jungen Menschen rennt das Jungsein davon, dem Alten das Leben. Mittelalte Eltern sind geduldig. Sie stehen etwas weiter hinten im Saal bei den Polizisten und Sanitätern. Sie lieben ihre Kinder und wollen sie wieder gesund nach Hause bringen. Trotz pyrotechnischer Kometen im Saal, Airburst-Munition, Minen, Bühnenbomben, aus dem Boden schießender Kampfnebelstrahlen, die Halle in Stücke schneidender riesiger Laserschwerter, tödlichen Konfettis von einem feindlichen Planeten aus dem Weltall, eines 20 Meter hohen Kampfhunds und tanzender Gangsta-Rapper werden alle am Ende gut nach Hause kommen. Man hat dafür schließlich am Eintritt Schutzgeld bezahlt. Bei einem Hitzekollaps reicht übrigens meist ein Glas Wasser. Achtung, das ist eine wichtige Botschaft an alle Menschen der Welt: besonders im Sommer immer genug Flüssigkeit zu sich nehmen!

Der Saal geht durch die Decke

Miley erscheint als überlebensgroßes Gesicht im Hintergrund. Sie verdreht lustig die Augen. Ihr Mund geht auf, und eine riesige Zunge fährt heraus. Es ist eine adaptierte Rutsche für Notlandungen aus der Passagierluftfahrt, aber rosa eingefärbt. Nun erscheint die echte Miley im Abbild ihres Mundes und streckt die tatsächliche Zunge heraus. Starte mit einem Paukenschlag und beginne dann, dich zu steigern.

Jetzt rutscht Miley Cyrus nach unten auf die Bühne. Harte Beats setzen ein. Der Saal geht durch die Decke. Tanzende Plüschtiere erscheinen und machen Richtung Publikum obszöne Beckenbewegungen. Tänzerinnen kommen dazu, zu denen eine Riesin und eine Zwergin gehören. Das sagt man heute nicht mehr, aber heute gibt es auch keine zwei Meter großen Schimpansen mit pinkfarbenem Fell mehr. Und ein violetter Haifisch kann auch nicht aufrecht mit dem Becken shaken. Ein Haifisch tanzt in Wahrheit liegend!

Hand zwischen die Beine, Zunge aus dem Mund

Miley Cyrus stürmt mit ihrer lustigen Plüschtier-Sexgang auf dem Runway in die Mitte der Halle und greift sich das erste, aber nicht das letzte Mal an diesem Abend zwischen die Beine. Wie oft das noch genau geschehen wird, kann man nicht sagen. Es wird am Ende des Tages aber mehr als oft, also eher in der Gegend von dauernd sein. Das Mitzählen beim Zungezeigen lassen wir lieber. Es ist ein nervöser Tick, der beim Menschen meist auftritt, wenn er unsicher ist, weil er sich beobachtet fühlt und nicht weiß, was er machen soll.

Die Musik ist kräftig. Harte Beats, Sireneneffekte, sägende Synthesizer, die aus den Smartphones der Weltjugend kommend Erziehungsberechtigte dazu treiben, ihnen alle Wünsche von den Augen abzulesen, bloß damit sie den Lärm ausmachen. Der Song Love, Money, Party hat eine starke Botschaft. Aus goldenen Schäften schießen goldene Fontänen in die Luft. Gangsta-Rapper mit dicken Cartoon-Köpfen und dicken Ketten begleiten Miley schon wieder in die Saalmitte. Miley Cyrus sitzt auf der Kühlerhaube eines goldenen Autos und spreizt die Beine. Gleich wird sie so tun, als ob sie mit dem Auto Sex hätte. Am Höhepunkt des Liedes schießen zur Belohnung tausende Dollarnoten in die Luft und regnen auf das Publikum. Sie sind falsch. Die jungen Leute im Saal lernen etwas daraus.

Ritt auf der Wurst

Später wird Miley noch das Lied mit der Abrissbirne singen, auf einer großen Hotdog-Wurst durch die Luft reiten und mit ihren Tänzerinnen twerken. Twerk ist ein neuer Tanzstil, bei dem man seinen Tanzpartnern mit gespreizten Beinen den Hintern entgegenstreckt und rhythmisch sehr schnell mit dem Hinterteil wackelt. Sieht irgendwie lustig aus, ist aber natürlich schwer sexuell.

Von den Liedern selbst bleibt nicht viel in Erinnerung. Die Musik ist bei Miley Cyrus familienbedingt eher zweitrangig. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, aber ihr Countryrock-Vater Billy Ray Cyrus hat einst Anfang der 1990er-Jahre mit Achy Breaky Heart und der Globalisierung des Line Dance viel Leid über die Welt gebracht. Balladen wie Adore You und ein eingeschobenes akustisches Set in der Saalmitte zeigen jedenfalls, dass Miley bei "Starmania" nicht abstinken würde. Nach Justin Timberlake, Prince und ihr innerhalb einer Woche in der Stadthalle wird uns allen nächste Woche das Geile bei den Rolling Stones im Happel-Stadion sehr fehlen. Aber vielleicht übt Mick Jagger eh schon heimlich twerken. Wir sind alle total versext! (Christian Schachinger, derStandard.at, 11.6.2014)