Bild nicht mehr verfügbar.

Die Tierorakel sind zumindest seit Paul, dem Kraken, sehr beliebt. Die Elefantendame Nelly ...

Foto: dapd

Bild nicht mehr verfügbar.

... und die Kuh Yvonne mühten sich ebenfalls bei der "Siegervorhersage".

Foto: APA

Klagenfurt/Innsbruck - "Im Leben wie im Fußball kommt man nicht weit, wenn man nicht weiß, wo das Tor ist", sagt Toni Polster, nachdem die Brasilianer eines gegen die Kroaten geschossen haben. Er kommentiert das Eröffnungsmatch der Fußballweltmeisterschaft - gespielt von evolutionären Algorithmen. Diese autonomen Computerprogramme wissen, wo das Tor ist. In den Rechnern des Kärntner Lakeside Labs haben sie gelernt, Pässe zu spielen, eine Verteidigung aufzubauen und den Ball durch die gegnerischen Linien zu bringen.

Die WM-Zeit ist auch die Zeit der technologischen Fußballorakel, der Simulationen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Verschiedene Forschungsdisziplinen verwenden ihre Ansätze, um den Ausgang der Spiele abzuschätzen. Auch an den Lakeside Labs der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt haben Forscher im Zuge eines Projekts über selbstorganisierende Systeme ein WM-Orakel geschaffen. Dabei bekamen lernfähige, im Fußballspiel geschulte Programme annäherungsweise die Eigenschaften der realen Vorbilder aus den WM-Gruppen verpasst. "Wir zeigen damit, dass wir die selbstorganisierten Systeme steuern könnnen", sagt Wilfried Elmenreich, der mit seinen Kollegen die lernfähigen Softwareteams schuf.

Ziel solcher Systeme ist es, eine Aufgabe verteilt im Zusammenspiel vieler einzelner Elemente und ohne zentrale Kontrolle zu erledigen. Ausgangspunkt war eine bei Roboter-Fußballturnieren erprobte Simulationssoftware, die die Klagenfurter adaptierten. "Die Strategie unserer Mannschaften entsteht durch einen evolutionären Algorithmus", erklärt Elmenreich. Lässt man die simulierten Spieler das erste Mal aufeinander los, verfügen sie über zufällige Eigenschaften und machen kaum rationale Manöver, sondern drängen beispielsweise alle zum Spielfeldrand. Das ändert sich aber schnell. "Das Programm bewertet und selektiert seine Taktiken. Nach mehreren Generationen entsteht nach und nach ein besseres Verhalten."

Bewertet werde die eigene Leistung durch Parameter wie Ballbesitz, Dominieren des Raums, erfolgreiche Pässe und natürlich Tore. "Nach ein paar Hundert Durchläufen sind verteilte Rollen, Passspiel und Züge zum Tor erkennbar", sagt Elmenreich. "Nach 500 Generationen kann man von Fußballspiel sprechen, nach 1000 wird es professionell. Wir haben mit unseren Mannschaften 2000 Durchläufe gemacht, um auf ein Level zu kommen, das der WM würdig ist."

Bei den Algorithmen gibt es allerdings keinen Ronaldo, keinen Spieler, der von Natur aus schneller oder größer wäre. Die Forscher haben aber versucht, Charakteristika ganzer Teams auf das System zu übertragen. "Argentinien ist etwa bekannt für sein ausgezeichnetes Passspiel", sagt Elmenreich. "Wir haben also beim Argentinien-Algorithmus den Regler für erfolgreiches Passspiel nach oben gedreht."

Passspiel unter Strom

In Zukunft könnten selbstorganisierte Systeme sich nicht nur virtuelle Fußbälle, sondern auch elektrische Energie zuspielen. Der Umbau in Richtung eines dezentralen Stromnetzes mit wenigen großen und vielen kleinen Produzenten, die Energie aus Solar- und Windanlagen einspeisen, ergibt ein komplexes System, das zentral nicht mehr so einfach zu steuern sei, sagt Elmenreich. Algorithmen, die zusammenarbeiten und Entscheidungen treffen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen, könnten auch ein stabiles Stromnetz organisieren.

Das WM-Spiel der lernfähigen Algorithmen mit den Charakteristiken Brasiliens und Kroatiens, das die Forscher von Toni Polster kommentieren ließen, ergab ein 1:0 für die Südamerikaner. Ein Ergebnis, das auch eine weitere besondere Art der Vorhersage bestätigt. Der Statistiker Achim Zeileis von der Uni Innsbruck hat gemeinsam mit Kollegen der WU Wien das umfassende Sportwissen der Buchmacher angezapft, um den Ausgang der WM zu simulieren.

"Unsere Idee ist, nicht zurückzublicken und vergangene Performances anzuschauen, sondern mit der Erwartungshaltung von Experten zu arbeiten" , sagt Zeileis. "Experten, die damit Geld verdienen und Verluste einfahren, wenn sie die Quoten zu hoch oder zu niedrig ansetzen." Zeileis und Kollegen verwendeten die Quoten von 22 Onlinebuchmachern, die alle Teams eingeschätzt haben, bereinigten sie um die Gewinnmargen, die aufgeschlagen wurden, und errechneten ein Mittel, aus dem entsprechende Wahrscheinlichkeiten für die Spielresultate abgeleitet werden.

Die Ergebnisse führten die Forscher für ihre Studie in ein Simulationsmodell zusammen, bei dem sie die Teams nach Spielstärken gewichteten und die Turnierverläufe 100.000-mal durchspielten.

Südamerikanisches Finale

"Wir können für jeden möglichen Verlauf eine Wahrscheinlichkeitsaussage treffen", erklärt Zeileis das Resultat. In dem Modell steht die Wahrscheinlichkeit, dass Brasilien das Eröffnungsspiel gegen Kroatien gewinnt, bei 82 Prozent. Das wahrscheinlichste Finale lautet Brasilien gegen Argentinien. Die Plätze drei und vier fallen im Wahrscheinlichkeitsranking Deutschland und Spanien zu. Der WM-Sieger der Simulation heißt Brasilien. Wahrscheinlichkeit eines Siegs: 22,5 Prozent. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 11.6.2014)