Freigelegtes Seuchengrab aus dem 15. Jahrhundert.

Foto: Standard/Fischer

Wien - Mit der großen Hygienereform unter Kaiser Joseph II. verschwanden viele Friedhöfe innerhalb des Wiener Linienwalls (heute: Gürtel). Durch Zuschüttungen schützte man die Bevölkerung vor Krankheiten und gewann dadurch wertvollen Baugrund. Sechs dieser vergessenen Ruhestätten haben Wiener Stadtarchäologen in den vergangenen Jahren ausgegraben. Ihrer Geschichte ist ab Donnerstag, 12. Juni eine Ausstellung gewidmet.

Funde bei Bauarbeiten

"Wir können uns nicht aussuchen, wo wir graben", erzählt die Leiterin der Wiener Stadtarchäologie, Karin Fischer Ausserer. Stattdessen werde die Abteilung immer dann gerufen, wenn bei Bauarbeiten plötzlich Knochen, Ruinen oder Fundamente auftauchen. So geschehen etwa beim Umbau des Bundesrealgymnasiums Marchettigasse in Mariahilf: Beim Grabungsarbeiten im Hof Hofes stießen Arbeiter dort auf zahlreiche menschlichen Überreste.

Der Platz erwiese sich schließlich als Friedhof des ehemaligen Militärspitals in der Gumpendorfer Straße. Durch solche Ausgrabungen könne man nicht nur die im 17. und 18. Jahrhundert üblichen Bestattungsriten erforschen, sondern auch viele andere Details rekonstruieren, so Fischer Ausserer. "Bei den Soldaten des Mariahilfer Friedhofes wurden beispielsweise grobe Mangelerscheinungen wie etwa Zahnfleischschwund festgestellt. Die Versorgung der Armee dürfte also nicht besonders gut gewesen sein", so die Archäologin.

Meist "Armengräber"

Die Ergebnisse der Grabungen sind auch im neuesten Band der Reihe "Wien Archäologisch" nachzulesen, der ebenfalls am 12. Juni präsentiert wird. Neben dem Soldatenfriedhof stießen die Stadtarchäologen auch auf drei letzte Ruhestätten im Bereich der Sensengasse im Alsergrund, den Friedhof zu St. Ulrich in der Zollergasse in Neubau und einen Friedhof bei der Hernalser Kalvarienbergkirche.

"Gemeinsam haben die Gräber, dass sie vor allem für Begräbnisse der ärmeren und bürgerlichen Bevölkerung genutzt wurden", sagt Fischer Ausserer. Denn Klerus und Adelige wurden damals noch nicht in der Erde, sondern eher in Gruften oder eigenen Totengebäuden bestattet. Dementsprechend fanden die Wissenschafter vor allem einfache Holzsärge, Bekleidungsreste und schlichte Kreuze oder Totenkronen."Bis ins 16. Jahrhundert nähte man die Leichen schlicht in Totensäcke aus Leinen ein. Später begann man, sie auch zu bekleiden, um sie für ihre Vereinigung mit Gott im Nachleben passend auszustatten", so die Archäologin.

Seuchen und Epidemien

Die ältesten Gräber der Untersuchungen stammen vom Bäckenhäusel Gottesacker im Alsergrund. Nahe der Sensengasse fanden die Forscher im Zuge der Bauarbeiten am Universitätssportinstitut 2005 und 2006 auch noch zwei weitere Friedhöfe: den Spanischen Friedhof sowie den Neuen Schottenfriedhof. Auf diesen drei Ruhestätten seien alle Arten von Gräbern vertreten: Einerseits einfache Schachtgräber, in denen die Toten mit Blick nach Süden nebeneinandergereiht wurden, andererseits Massengräber, die vor allem in Zeiten von Seuchen und Epidemien als rasche Totenlager dienten.

"Hier wurden die Toten übereinandergelegt, mit Kalk bestreut und möglichst schnell weitere Leichen hineingeschlichtet - auch um Ansteckung zu verhindern", so Fischer Ausserer. Auch eigens abgetrennte Bereiche für Kinder und Kleinkinder sowie das Fundament und der Kellerbereich einer Friedhofskirche kamen bei den Grabungen zum Vorschein.

Erneute Bestattung

Die Ausstellung in der Fachbereichsbibliothek Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft in der Sensengasse konzentriert sich auf jene Grabungen, die in der Umgebung stattfanden. Danach soll die Schau weiter wandern. Beleuchtet wird auch der Umgang mit diesen Funden in der Vergangenheit: "Stieß man auf Knochen, wurde oft zuplaniert und darübergebaut", meinte Fischer Ausserer. Ein gutes Beispiel dafür sei etwa die Errichtung der neuen Kalvarienbergkirche.

Heute werden die gefundenen Knochen sorgfältig ausgegraben sowie ihre Fundstellen erfasst und fotografiert. Danach gelangen sie zur anthropologischen Untersuchung, um Rückschlüsse auf Geschlecht, Alter und andere Daten zu ziehen. Sind alle Analysen abgeschlossen, werden die Knochen eingeäschert und im Bereich der namenlosen Toten am Zentralfriedhof wieder bestattet. (APA/red, derStandard.at, 10.6.2014)